Predigt November 2012

Queergottesdienst am 18.11.2012, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt über Lk 19, 1 – 10 Zachäus

 

Liebe Queergemeinde,

Zachäus sitzt am Zoll und nimmt Geld ein für die Römer und vor allem für sich. Dann sieht er Jesus. Doch wir leben nicht unter den Römern, ich sehe hier keinen Zachäus und Jesus ist auch nicht da. Ich kann die Geschichte nicht inszenieren, ich muß also einen anderen Zugang finden.

Das Palästina zur Zeit Jesu war römische Provinz, jeder, der mit der Besatzung zusammenarbeitete, war äusserst unbeliebt. Entsprechend brach man so gut es ging Gesetze, nur um dem fremden Rom zu schaden. Was könnte meine Stellung in der Geschichte sein? In Deutschland lebe ich nicht unter Fremdherrschaft, ich halte die Gesetze und bin stolz auf die Errungenschaften der queeren Gemeinschaft: Der §175 wurde gestrichen, es gibt ein Lebenspartnerschaftsgesetz. Da ist schon viel erreicht.

[lies Vv. 3+4]

Ich bewundere seine Zielstrebigkeit und Entschlossenheit. Im entscheidenden Augenblick steigt er auf den Baum. Nur um Jesus zu sehen. Jesus, den er gar nicht kannte, von dem es vielleicht gerüchteweise Informationen gab.

Nun kommt Jesus, schaut zu Zachäus auf – warum? Kennt er ihn? Das erfahren wir nicht – Jesus spricht ihn jedenfalls an und lädt ihn ein, herunterzusteigen. ---- Heruntersteigen – da spüre ich eine spirituelle Einladung auch an mich: Öfter mal heruntersteigen von der Überhöhung der eigenen Gedanken und (fixen) Ideen. Auf Eurem Bild ist die Baumkrone als Labyrinth dargestellt, und eine Schlange ist darin. Damit wird der Maulbeerbaum des Zachäus zum Baum der Versuchung im Paradies. Es kann eben auch das Sünde sein: sich immer mehr verstricken in das Labyrinth eigener Gedanken, in die man sich richtig verleibt. Aus diesem Labyrinth, in dem mich die Schlange – Symbol der Sünde – festhalten will, kann ich nicht allein heraus. Jesus spricht mich an.

Zachäus hat zweimal Mut bewiesen, weil er Erstens wegen Jesus auf den Baum hinaufgestiegen ist, um sich zweitens auch gleich wieder herunter rufen zu lassen. Zachäus hat keine Angst, sich lächerlich zu machen. Vielleicht muß ich manchmal erst hinaufsteigen, um Abstand und Überblick zu haben, um zu sehen, was wirklich wichtig ist. Der Glaube ist offenbar klein von Gestalt und verliert Jesus leicht aus dem Blick. Doch dann plötzlich, im rechten Augenblick, begegnet mir Gottes Wort in Jesus:

Zachäus, steig eilend herunter, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. (V.5b)

Zachäus spürt die Aufforderung, er spürt: Jesus meint das so, das geht mich unmittelbar an. Dieses Wort kommt von Gott. Er reagiert sofort:

Und er stieg eilend herunter und nahm Jesus auf mit Freuden.(V. 6)

Zachäus kehrt um und tritt ein in eine Beziehung zu Jesus Christus. Und dann verändert sich sein Gefühl. Aus Scham wird Freude. Jesus schenkt ihm Freude. An einer anderen Stelle sagt Jesus:

Wenn ihr den Willen meines Vaters im Himmel tut, wird eure Freude vollkommen sein.

Was für eine Verheissung! Christen haben Zukunft!

Freude ist ja ein Gefühl, das auf andere über geht. Freude kann man teilen. Geteilte Freude ist doppelte Freude. In Abwandlung eines bekannten Autospruchs frage ich Euch: Haben Sie sich heute schon gefreut? Was hindert dich daran? Das schlechte Wetter? Die Freude ist stärker, wenn sie sich aus dem Kraftfeld des Heiligen Geistes speist. Christus macht frei. Das ist doch was. Die Freude wird im Himmel vollkommen sein. Leider kommen bald die Spielverderber:

Als die Leute das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.

Wo denn sonst? Vergleiche den Sinn der Sendung Jesu nach dem Lukasevangelium:

Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.

Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Empörend. Wie liest es sich, wenn da stünde: Bei einer Lesbe ist er eingekehrt. ---- Ich bin in einem Hauskreis, da ist es vollkommen klar, dass Homosexualität Sünde ist. Als Beleg fallen dann die einschlägigen Bibelstellen, die natürlich eindeutig auf Homosexualität ausgelegt werden. Da wird dann schnell Umkehr von mir gefordert. Von sich selbst natürlich nicht. Ich habe da ein anderes Bibelverständnis: Ich möchte neugierig bleiben und mehr über Jesus erfahren, nicht meine eigenen Vorurteile in der Bibel bestätigt sehen. Ausserdem ist Sünde in der Bibel nicht so sehr die einzelne Tat, sondern das Ziel verfehlen, aus der Beziehung zu Gott aussteigen.

Zachäus ändert sein Leben freiwillig. Der Ruf des Wortes bewirkt die Veränderung.

[lies Vv. 8-10]

Ein Zöllner beging damals strukturelle Sünde. Wer bei den Strukturen des römischen Steuersystems mitspielt, macht sich automatisch schuldig. Auch heute haben wir Gesetze, die viele nicht gerecht empfinden. Und dann gibt es noch die ungeschriebenen Gesetze. Ja, wir sind alle tolerant gegenüber Schwulen und Lesben, wir diskriminieren niemanden, wir haben Unternehmensleitbild – toll! Soweit die offizielle Theorie. Aber kann ich mich wirklich auf Arbeit outen, oder gehe ich ein Risiko ein? Das wäre Umkehr, weg vom Versteckspiel.

Zachäus hat wieder gut gemacht. Durch seine Busse hat er Vergebung mit Gott und zwischenmenschlich erfahren. Er hat Freude gefunden und Freunde.

Zachäus findet inneren Frieden. Das führt ihn zur Freude. Diese Freude schenkt Jesus. Sie macht glückselig. Jede(r) von uns ist dazu berufen, glückselig zu werden. Das ist uns verheissen, das verleihe Gott uns allen.

Amen.