Predigt Dezember 2012

Queergottesdienst am 16.12.2012, St. Johanniskirche Nürnberg

„Meine Schwestern und Brüder,
lasst euch nicht entmutigen
und wartet geduldig auf den Tag,
an dem der Herr kommt.“

Die Adventszeit, in der wir uns gerade befinden, ist so eine Wartezeit. Wir warten auf die Ankunft des Herrn. Wir warten auf das Kind in der Krippe, wir warten auf das Weihnachtsfest in der Familie und Freunden. Wir warten auf den Lichterglanz, der die Häuser erfüllt, und wir sind erwartungsfroh auf vielleicht das eine oder andere schöne Weihnachtsgeschenk.

Aber das Thema Warten begegnet uns auch außerhalb der Adventszeit.

Wir warten darauf, dass wir nach einer Krankheit wieder gesund werden dürfen.

Wir erwarten am Monatsende das neue Gehalt auf dem Konto.

Wir warten auf eine neue Arbeitsstelle, wenn wir arbeitslos geworden sind.

Wir warten, bis der Besuch endlich kommt, der auf der Autobahn im Stau steht.

Wir warten auf neue Erkenntnisse, wenn sich unser Leben wieder mal im Kreis dreht, den wir nicht verlassen können.

Wir warten im Winter darauf, dass der Frühling endlich wieder ins Land zieht.

Jede und jeder hat in seinem Leben seine eigenen Erwartungsthemen und jeder und jede hat ein anderes Geduldsmaß dazu.

Ich selbst bin ein sehr ungeduldiger Mensch und kann es oft kaum erwarten. Schon als Kind sagte mein Vater immer zu mir: „Immer musst du gleich „her und den Baum hinauf“, heißt übersetzt: Eine Idee gewonnen und am besten gleich perfekt umgesetzt und ins Leben integriert.

Für mich ist es oft unendlich schwierig, etwas erwarten zu können, etwas auszuhalten, bis es soweit ist.

Bei mir reisst also häufig mal der „Geduldsfaden“.

Wir haben soeben auch für jeden von euch einen Geduldsfaden ausgeteilt. Im Vorbereitungsteam haben wir uns Gedanken über das Warten gemacht.

Wie gelingt euch das Warten?

Wann ist euch warten gut gelungen und wann nicht?

In welchen Situationen fällt es euch leicht zu warten?

Wann war es fast unerträglich, das Warten auszuhalten?

Manchmal steckt man in einer Situation und kann es kaum mehr ertragen, dass nichts geschieht, dass man warten muss und warten und warten und warten, bis sich endlich die richtige Tür öffnet, die für einen bestimmt ist. Dann steckt man fest, ist verzweifelt verliert den Glauben daran, dass sich noch etwas Positives in eine bestimmte Richtung tun wird.

Und man hat auch keinen Zugang mehr dazu, dass man in früheren Situationen durch das Warten zu einem positiven guten Ende gelangt ist, dass es sich tatsächlich gefügt hat. Und dass sich das Warten lohnte, weil dann tatsächlich das Richtige im Leben eingetreten ist.

Leider verliert sich in diesen Situationen diese Geduldserfahrung von früher häufig, man ist nicht in der Lage, darauf zurückzugreifen.

 

Dafür soll der Geduldsfaden, den ihr heute in Händen haltet, symbolisch stehen:

Der Geduldsfaden steht als Anker dafür, dass ich auch früher Gutes erfahren durfte, wenn ich das Warten durchgehalten habe. Er ist eine Erinnerung an meine positiven Geduldserfahrungen.

Der Geduldsfaden kann dafür stehen, dass ich mehr aushalten kann, als ich dachte, dass er nicht gleich bei der ersten An-Spannung reißen wird, sondern halten wird. Der Geduldsfaden steht für meine Zuversicht, dass ich es schaffen kann, ertragen kann.

Der Geduldsfaden kann ein Symbol dafür sein, dass es notwendig ist, dass nicht gleich alles in Erfüllung geht, sondern dass es eine Wartezeit benötigt, damit ich die Zeit bekomme, mir in alle Richtungen Gedanken zu machen und abwägen kann, was das Sinnvollste ist. Oder ich bekomme durch die Wartezeit Zeichen von außen, die mir die Richtung weisen können.

Der Geduldsfaden kann dafür stehen, dass es sich lohnt, dass Veränderung in meinem Leben stattfinden darf, dass durch das Warten etwas Neues in mein Leben treten darf. Würde ich mir die Zeit nicht dazu nehmen, würde ich vielleicht achtlos daran vorbeistürzen: Gehe ich „Her und den Baum hinauf“ wäre ich gleich oben und hätte verpasst, was sich am Wegrand neben dem Baum alles befindet, was mir im Leben hilfreich hätte sein können.

Der Geduldsfaden steht auch für die Zuversicht, dass es auf der einen Seite immer wieder Leidenszeiten braucht im Warten, bevor etwas passiert, bevor sich etwas verändert, auf der anderen Seite aber auch jede Leidenszeit ein Ende haben wird, so wie der Geduldsfaden in euren Händen auch ein Ende hat.

 

Vielleicht denkt sich jetzt die eine oder andere, dass es doch fürchterlich ist, dass man durch das Warten oft in einer Leidenszeit hängen bleibt und sie ertragen muss. Man fragt sich, warum das so sein muss und weshalb es immer wieder so mühsam durchlebt werden muss, wie ein steiler Weg auf einen Berg, der scheinbar einfach nicht enden will. Und es ist kaum noch zum Aushalten, man hat keine Kraft mehr, weiterzugehen, man ist genervt, dass man einfach nicht hinaufkommt und endlich die gute Aussicht genießen kann. Der Weg bleibt steinig und schwer und geht und geht und geht.

Oft schicke ich dann ein Gebet zu Gott: „Mach, dass es aufhört, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich halte es nicht mehr aus. Hilf mir, zeig mir, wie es weitergehen soll, zeig mir, wo der steile Weg zu Ende ist, führe mich, damit ich weiß, wohin es gehen soll.“

Wann endlich hört das Warten auf, wann endlich ist der Winter vorbei? Mir ist so kalt, alles ist dunkel…ich will einfach nur noch raus hier.“

Im Vorbereitungsteam machten wir uns lange über diese Leidenszeiten, die durch das Warten entstehen können, Gedanken und kamen zu dem Schluss, dass die Leidenszeiten im Warten hin und wieder sinnvoll sind, damit wir sensibel werden, offen werden.

Solange alles rund läuft und es uns gut geht, machen wir uns keine großen Gedanken und denken nicht so viel über den Sinn unseres Lebens nach.

Komme ich aber in Situationen, in denen ich leide, weil sich aus meiner Sicht heraus „ewig“ nichts verändert und es bald unerträglich scheint und der Geduldsfaden zu reißen droht, dann werde ich sensibel und weich, dann mache ich mich auf und wende mich hin zu Gott, dann öffne ich mich aus ganzem Herzen für „Gottes ganz anderes Handeln“.

„Gottes ganz anderes Handeln“ in meinem Leben, dass es ganz anders kommt, als ich es erwartet hätte, dass  mein Weg eine andere Richtung einschlägt, als ich es vermutet habe, dass ich mich ausstrecke und „Gottes ganz anderes Handeln“ erkenne und annehmen kann.

Gottes ganz anderes Handeln in der Weihnachtszeit: Er sandte die Engel zu den Hirten in einer kalten Nacht, in der niemand vermutet hat, dass er kommt.

Gottes ganz anderes Handeln, dass er seinen Sohn in eine Krippe legte, ganz still und ohne reiche Pracht, Samt, Seide oder Purpur, wie es für Gottes Sohn eigentlich würdig gewesen wäre.

Gottes ganz anderes Handeln, dass mich zutiefst berührt, wenn ich an seiner Krippe stehe.

Nehmt ihn also mit, den Geduldsfaden als Zeichen für Gottes ganz anderes Handeln, als Zuversicht, dass er sich uns als Kind im Stall mit der Zusage, uns ein Leben lang zu begleiten, geschenkt hat.

Amen.