Predigt März 2012
Gottesdienst am 18.03.2012
Predigt zu Matthäus 4, 1-11
Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
I.
Wir sind mitten in der Fastenzeit und in unserem Anspiel zu Beginn des Gottesdienstes präsentieren wir euch Schokolade, Schlagsahne, All-round-Kommunikationsmittel, die größtmögliche Vermehrung eures Vermögens und Internet-Partnerbörsen. Und dann folgt das Evangelium, der den fastenden Jesus zeigt, der nach vierzig Tagen in der Wüste – dem biblischen Zeitraum der Vorbereitung auf Großes – vom Teufel versucht wird. Der Begriff Versuchung will ich auf dem Hintergrund der Sehnsucht nach Leben verdeutlichen: Im „Durst“ nach Leben (Ernesto Cardenal) verbirgt sich die Sehnsucht nach Gott. Wer sich nicht zu Gott führen lässt, sondern sie mit Anderem betäubt, der erliegt der Versuchung. Die Fastenzeit soll dann als Chance genutzt werden, sich unter Verzicht auf Marginales auf das Wesentliche zu besinnen. Denn wie wir alle wissen – und streckenweise doch vergessen – dieser Durst im Menschen, die Sehnsucht nach Gott, kann auch fehlgeleitet werden. Menschen spüren eine Sehnsucht in sich und versuchen, sie mit allen zu stillen, was ihnen die Welt, die Mode, die Zeit gerade anbieten. Das nennt die Bibel „Versuchungen“: die Sehnsucht nach Gott mit Ersatzbefriedigungen ersticken, die Menschen von Gott wegführen. Die Geschichte von der Versuchung Jesu nennt uns beispielhaft solche Versuchungen. Sie bleiben im Vordergründigen stecken und haben doch immer etwas mit Gott zu tun. Der religiöse Schein macht sie so gefährlich:
II.
Vierzig Tage und Nächte hat Jesus gefastet. Der Hunger quält den Sohn Gottes! Die erste Versuchung trifft nun – wie kann es anders sein – seinen Hunger. „... befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.“ Gott will doch das Leben der Menschen. Er möchte, dass es ihnen gut geht. Er kann doch nicht wollen, dass sich gerade sein Auserwählter mit Hunger plagt. Also, bedien dich!
Ja, viel mehr noch. Könnte ein göttliches Machtwort nicht mehr als nur den eigenen Hunger stillen? Jesus könnte all den Hungernden im Israel seiner Zeit zu essen geben. Hat er das bei der Speisung der fünftausend nicht so ähnlich getan? Hast du Hunger? Dann iss doch! Erbarmst du dich der Hungernden? Dann gib ihnen doch zu essen!
Jesus sagt Nein. Er erkennt die Versuchung, die Gott nur für den Lustgewinn des Menschen missbraucht oder sich mit sozialen Argumenten tarnt. „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot.“ Es könnte nur den Hunger des Augenblickes stillen, aber nicht für immer satt machen. Sättigung hätte es nur dem Leib geboten, doch den Durst der Seele hätte es nicht gestillt. Die Sehnsucht nach Gott lässt sich durch den Lustgewinn, zu dem der Versucher auffordert, nicht befriedigen, nur betäuben. Jesus lässt die Sehnsucht nach Gott nicht so schnell betäuben. Ihretwegen hat er gefastet. „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot.“ Er lebt vom Wort Gottes, der das Leben ist. Er lebt von der Liebe, die sich wagt. Er lebt vom Wort Gottes, das aus Liebe Mensch wurde.
Um sich genau dessen bewusst zu werden, verzichten Menschen in der Fastenzeit auf Fleisch, Süßigkeiten, Alkohol und andere Genussmittel. In einer Zeit, in der wir alle einer Vielzahl von Informations- und Kommunikationsmitteln gegenüber stehen, gibt es auch diejenigen, die sich beispielsweise für „Computerfasten“ entscheiden. Früher waren Telefone zu telefonieren da und an einem festen Standort gebunden. Heute hat fast jeder bzw. jede eins in der Hosen- oder Handtasche. Ein Smartphone ist mehr als ein internetfähiges Handy. Es ist ein kleiner Computer. Es ist ein Terminplaner, Foto- und Videoapparat, man kann Musik und Filme abspielen, SMS und E-Mails versenden sowieso. Zig Apps machen das Leben so praktisch und einfach wie nie zuvor, auf Facebook kann man den ganzen Tag sein. Egal welchen Umfang die Finger und Daumen haben, jeder bekommt es hin auf dem Touchscreen eine Nachricht zu verfassen oder im World Wide Web etwas zu suchen. Wer nicht auf Touchscreens rumklimpert ist „out of touch“ mit unserer Informationsgesellschaft, übersetzt: hat keinen Bezug mit dieser Welt. „Wer kein iPhone hat, hat kein iPhone“ lautete mal ein Werbeslogen von dem Weltkonzern, der einen angebissenen Apfel als Firmenlogo hat. Die Firma Apple geht eben zurück bis zur Versuchung im Garten Eden, um uns das vermeintliche Paradies zu liefern.
Obwohl revolutionäre und hehrere Ziele nicht zu bestreiten sind und wir von einem weiteren Meilenstein in der Entwicklung der Technologie reden können, besteht die große Gefahr, dass der persönliche Kontakt zwischen den Menschen auf der Strecke bleibt und die Unverbindlichkeit und Beliebigkeit steigt. Mediale Dauerbeschallung und doch zunehmende Vereinsamung unter den Menschen. Der Mensch lebt nicht vom Smartphone allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund seines gegenüberstehenden Mitmenschen (als Geschöpf Gottes) geht.
III.
(Zurück zu unserem Bibelwort und der zweiten Versuchung.) Wenn du so fromm sein willst, sagt der Versucher, beweise doch dir selbst und der ganzen Welt deinen Glauben. Und nun lädt er Jesus zu einem religiösen Höhenflug ein. Verlass dich doch auf Gottes Wort und stürz dich von der Spitze des Tempels. Es wird dir schon nichts passieren. Wäre das nicht auch ein überzeugender Beweis deiner göttlichen Vollmacht, wenn dir Engel im Sturzflug zu Hilfe eilen und dich sanft auf dem Boden absetzen? – Mein erster Gedanke wäre: Und was ist, wenn es schief geht? G. hätte mir sicher geantwortet: Ein Mensch ohne Kopf ist ein Leben lang ein Krüppel.
Jesus sagt Nein. Und er sagt nicht Nein, weil er Angst um seine körperliche Unversehrtheit hat. Er erkennt die Versuchung, die sich hinter der Frömmigkeit verbirgt. So leicht soll man es sich mit Gott nicht machen. So leicht lässt er sich nicht einplanen in unsere Erwartungen und Wünsche, in unsere Träume und Sehnsüchte nach dem Happy End, für das wir ihn so gerne zuständig machen möchten. Oft ist er gerade da nicht, wo wir ihn am meisten suchen, um uns dort zu begegnen, wo wir ihn nicht erwartet hätten. Wir haben kein Recht, ihn zu versuchen, ihn auf die Probe zu stellen. Der Glaube ist kein Werkzeug, das Wunderdinge wirkt, er ist die Hand, die die Gaben des wunderbaren Gottes ergreift. Jesus stellt Gott und sich um. Nur so schafft Gott neues Leben. Er gibt sich ganz in Gottes Hand – und kommt dabei selbst nicht auf die Probe.
Und wie es absurd ist zu glauben, ich springe von der Tempelmauer und mir wird schon nichts passieren, grenzen die Widersprüchlichkeiten in unserer Kultur an Schizophrenie: Ständig heißt es, ernähre dich gesund und ausgewogen, trinke Alkohol nur in Maßen, Bewege dich und treibe Sport. Und was macht die Industrie? Sie hat Unmengen von Lebensmitteln im Angebot, die alles andere als gut sind für uns. An Tankstellen kann man sich rund um die Uhr alkoholischen Nachschub besorgen. Gestern war ich auf einer Party, da wollte sich ein 15-Jähriger unbedingt mit dem unter uns messen, der alle unter Tisch säuft und deswegen den Beinamen „Das schwarze Loch“ trägt. Auf jeder Feier von uns darf die Schwuppenbrause nicht fehlen (also Sekt). Anstatt öfters spazieren zu gehen oder für kürzere Strecken das Auto stehen zu lassen, rennen wir ins Fitness-Studio, um die Pfunde loszuwerden, die wir uns angefuttert haben. Wir konsumieren viel und wir geben noch viel mehr aus, um anschließend die Konsequenzen zu beseitigen. Ja, funktioniert unser Wirtschaftssystem nicht genau so?!
IV.
(Versuchung Nummer 3:) Der Versucher will Jesus einen Weg vorspiegeln, der ihn aus der Abhängigkeit von Gott zu lösen scheint. Unbegrenzte Macht soll ihm alles möglich machen, alle Wünsche erfüllen. Den Weg des Leidens will er umgehen. Für einen kleinen Kniefall vor dem Teufel soll Jesus die ganze Welt gehören. Soll er sie dann doch von einem goldenen Thron aus erlösen statt vom Kreuz herab.
Ist das nicht verlockend? Ich selber bin der Mittelpunkt und bestimme wo es lang geht und entscheide das für andere gleich mit. Müssen wir uns nicht öfters fragen lassen: Wozu Gott? Warum geht ihr, für die in euren Kirchen nur die Brotkrumen übrig bleiben, noch dort hin oder in den Queergottesdienst? Was bringt euch das? Wo springt da dein eigener Vorteil raus? Sei dir selbst der Nächste. Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht. Ich will auf niemanden angewiesen sein. „Ich bin mein eigener Herr(gott).“
Jesus sagt Nein. Er erkennt die Versuchung, die sich hinter der Macht verbirgt. Er ist nicht zum Kniefall vor dem Teufel bereit, der an jede Macht der Welt gebunden ist. Er weiß, dass durch den Pakt mit dem Teufel kein Heil zu gewinnen ist, dass alle Macht, die der Satan und die Machtverliebtheit unserer Welt zu bieten haben, ohnmächtig ist vor Gott. Jesus geht den machtlosen Weg – und durch ihn gelangt Gott zur Macht in dieser Welt.
In unseren queeren Szene, in der auf Äußerlichkeiten sehr viel wert gelegt wird, kann der Kniefall vor dem Bösen schon darin bestehen, einem bestimmten Idealaussehen nachzuhecheln. Es gibt schon immer eine Tendenz zu Abgrenzung und Geringschätzung von anderen Gruppen innerhalb der Community. Direkt oder indirekt sind wir der Versuchung ausgesetzt uns abzuheben und zu distanzieren von anderen, von uncoolen, nicht mainstream gay Leuten oder die uns nicht genug hetero erscheinen bzw. genug schwul-lesbischen Stolz zeigen. Auf Schickimicki zu machen und zu einem Sklaven der Modeindustrie zu werden. Und natürlich besteht auch auf der sexuellen Ebene die Gefahr, dass sich nach und nach alles nur noch auf die Oberfläche reduziert und Mann/Frau nicht mehr den Menschen mit Gefühlen sieht – nach dem Motto: An der nächsten Lampe steht schon die nächste Schlampe.
V.
Wir sehen also, ist es nicht notwendig – wie in früheren Zeiten – sich das Böse, sprich den Teufel, als personenhaftes Wesen vorzustellen. Es tritt in mannigfaltiger Gestalt auf, ist unscheinbar und breitet sich schleichend aus.
Wir erliegen den Versuchungen und wir werden ihnen weiter erliegen. Der brennende Durst der Seele, die Sehnsucht nach Gott, wird nur durch Gott selbst gestillt werden, wenn er seine Schöpfung vollendet.
Bis dahin richten wir unser Tun und Lassen an dem aus, der den Versuchungen widerstand und seinem Gott treu blieb. An Jesu Leben ist zu ermessen, wann unsere Sehnsucht nach Gott uns froh und mutig zum Leben in Gottes Namen treibt oder wann wir hilflos von Gott und dem Leben wegtreiben und diese Sehnsucht in Vordergründigem ersticken.
Jesu Antwort auf die letzte der drei Versuchungen weist uns den Lebensweg in Gottes Namen: „Bete alleine Gott an und gehorche ihm.“ Alles andere schiebt Christus beiseite: Gott allein und Gott über alle Dinge. Wertet, was Versuchung heißt, an diesem Maßstab! Erkennt, was Gottes Wille ist, an diesem Grundsatz! Wenn es euch gefällt, Gott zu gefallen, dann tut, was euch gefällt.
Jesus setzt Gott über alle Dinge. Da verlässt ihn der Satan und die Engel dienen ihm. Er hat die Versuchungen bestanden, denen wir bis heute noch erliegen. Er hat die Sehnsucht nach Gott nicht mit Ersatzbefriedigungen gestillt. Nun schenkt ihm Gott im Dienst der Engel den Vorgeschmack des Himmels.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle menschliche Vernunft und Begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.