Predigt April 2012
Gottesdienst am 15.04.2012 Weisser Sonntag
Thema: Ich habe den Lebendigen gesehen – Gott in Beziehung
Predigt
Eine schöne Geschichte. Doch was ist davon wahr?
Das Evangelium wurde 70 Jahre nach dem historischen Datum der Kreuzigung aufgeschrieben.
Unser Queergottesdienst ist gerade mal 11 Jahre alt und wer kennt noch die Geschichten vom Anfang? Oder wer war sogar dabei?
Und doch gibt es Geschichten vom der Entstehung, die heute noch weitererzählt werden, z.B. dass es beim ersten Gottesdienst richtiges, also lebendiges Brot gab, so wie heute. Wir erzählen uns diese Geschichten, weil sie eine Bedeutung, eine Aussage haben, die heute noch wichtig ist.
So sind auch die Auferstehungserzählungen zu verstehen. Die Urgemeinde hat aufgeschrieben, was für die Christen von damals von Bedeutung war.
Die Frage ist also:
Was will uns die johanneische Gemeinde mit dieser Geschichte sagen?
Was davon hat bleibende Bedeutung?
Ich möchte euch und Sie einladen, die Szene noch einmal aus dieser Perspektive zu betrachten.
Maria von Magdala kommt zum Grab. Jesus – ihr Freund, den sie circa zwei Jahre begleitet hat und der ihr Leben verändert hat, wurde brutal hingerichtet. Maria war dabei. Vermutlich ist sie davon noch traumatisiert. Um zu verdrängen hat sie sich in Aktionismus gestürzt, wollte irgendwas tun, z.B. den Leichnam salben. Und gerade durch dieses Anfassen des Leichnams wurde ihr langsam klar, was passiert war. Sie gab ihren Widerstand auf und endlich konnte sie den Schmerz zulassen und bitterlich weinen.
In dem Moment, indem sie aufgibt, etwas zu tun, in dem sie loslässt, übernimmt Gott.
Die Grenzen des Menschen sind das Einbruchstor Gottes.
Da kommt Jesus. Warum erkennt sie ihn nicht?
Einen Menschen, den man liebt, erkennt man doch an jeder Geste?
a) Möglicherweise hat sie Jesus auf den ersten Blick erkannt, nur ihre Vernunft hat sich gleich eingeschaltet und ihr gesagt, dass das nicht Jesus sein kann. Also hat sie sich eine andere Erklärung gesucht, den Gärtner. Gerade erst hat sie die Wirklichkeit des Todes Jesu an sich herangelassen, nun soll sie seine Auferstehung akzeptieren, die völlig unwahrscheinlich ist?
b) Möglicherweise war es aber auch tatsächlich der Gärtner. Auch in anderen Auferstehungsgeschichten, wie zum Beispiel auch in der Emmaus-Geschichte, erscheint der Auferstandene in anderen körperlichen Gestalten. Der Lebendige begegnet ihr vielleicht tatsächlich im Gärtner.
Interessant ist nun, wann und wie Maria Jesus erkennt.
Zunächst stellt Jesus – oder der Gärtner – ihr eine auf den ersten Blick blöde frage: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Die Antwort hätte für Jesus doch klar sein müssen!
„Frau“ ist hier eindeutig die Ebene des Fremdseins. Jesus spricht zunächst eine Fremde an.
„Warum weinst du?“ verbirgt die Botschaft: Ich bin doch da! Es gibt gar keinen Grund zum Weinen.
Hier erweist sich Jesus als Gott Israels der „Ich-bin-da“ heißt. Also die Frage eher im Sinne:
„Warum weinst du? Ich bin doch da, weil ich der lebendige Gott bin.“
Dann kommt der Namenswechsel. Maria und Rabbuni. Es ist ein ganz kurzer Moment des Erkennens, den Maria nicht festhalten kann. Die Momente des „Gott-Erkennens“ sind kurz und vergänglich. Doch dieser kurze Moment genügt, damit Maria begreift. Gott gibt sich nur in homöopathischer Dosis zu erkennen, die aber ausreicht, um Maria neue Kraft für eine neues Leben zu geben.
Denn sie geht zu ihren Freunden. Und was sagt sie ihnen?
„Ich habe Jesus den Lebendigen gesehen.“ sagt sie. Vielleicht hängt sie noch an: „nur ganz kurz, für einen Moment, im Gärtner.“
Dann kommen vielleicht die zwei aus Emmaus zurück und berichten, dass sie Jesus in einem Mitreisenden gesehen haben. Und im nächsten Kapitel des Johannesevangelium wird Jesus zunächst als Fremder mit Petrus und anderen Jüngern frühstücken. Auch hier erkennt ihn zuerst, der Jünger, den Jesus liebte.
Der Lebendige erscheint also in anderen Menschen im Moment der Liebe.
Hier schließt sich der Kreis zwischen Weihnachten und Ostern.
An Weihnachten wird Gott Mensch.
An Ostern begegnet der auferstandene Gott den Menschen in anderen lebendigen Menschen.
Da ist zum Beispiel zunächst nur einer von vielen Kollegen. Und ab dem Moment des „Sich-erkennens“ wird er zu dem Menschen im Büro, auf den ich mich morgens freue, weil er mir mit seiner Art gut tut.
Oder da ist die Frau, mit der ich im Bus zufällig ins Gespräch komme, und die mir dann genau den Satz sagt, den ich am heutigen Tage brauche.
Auch in der Partnerschaft ist man sich oft mal fremd und lebt nebeneinander her. Auch da lassen sich die Momente, in denen man sich in Liebe erkennt und durch den anderen Gottes Liebe erfährt, weder machen noch festhalten.
Der oder die Lebendige zeigt sich uns in anderen Menschen im Moment der liebevollen Beziehung. Und zwar nicht nur in den Menschen, die uns sowieso nahe stehen, sondern auch in Kolleginnen, Kollegen oder Fremden.
Der Auferstandene kann jede und jeder sein.
Carter Heyward, die als eine der ersten offen lesbisch als anglikanische Pfarrerin und Theologieprofessorin lebte und heute noch lebt, sagt:
„Nur in Beziehung mit den anderen sind wir in Gott. …Nur in Beziehung gibt es Liebe oder einen wirklichen Gott. Gott ist unser, damit wir Gott teilen. Wir geben uns Gott und wir empfangen von Gott. Wir erfahren Gott gemeinsam oder gar nicht.“
Oder wie Martin Buber, ein jüdischer Religionsphilosoph sagt:
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Amen.