Predigt September 2016
Queergottesdienst am 18. September 2016 in St. Johannis
Predigt zu Matthäus 18,1-6.10
Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.
Liebe Queergemeinde,
was die Jünger umtreibt und Jesus fragen, ist ja typisch menschlich. Im Markus-Evangelium (Mk 9,33-34), das dieses Ereignis auch behandelt, wird berichtet, dass Jesus und seine Anhänger auf den Weg nach Kapernaum waren. Dort angekommen fragte er seine Jünger, was sie denn unterwegs untereinander besprochen haben. Diese schwiegen aber, denn sie hatten auf dem Weg miteinander verhandelt, wer der Größte sei. Sie kamen in Verlegenheit, weil Jesus die Diskussion mitbekommen hatte.
Auch uns wäre es peinlich, wenn der Chef solche Gespräche hört. Solche Unterredungen haben ja ihre ganz eigenen Regeln, wie es das Anspiel zwischen Christof und Helmut verdeutlicht hat: Da wird eine höher bewertete Stelle in der Abteilung frei und man spekuliert wer diese bekommen könnte. Es wird zunächst gefragt, wer am besten dafür qualifiziert ist. Nicht weil man wirklich glaubt, dass das eine Rolle spielt – Personalgeschäft ist ein dreckiges Geschäft – das wissen die beiden, es hört sich einfach nur gut an. Am Anfang die eigene Person nicht nennen. Das gilt als egoistisch, zu sehr von sich selbst überzeugt sein, also taktisch unklug. Man nennt zunächst andere Kollegen. Hier, zwei die in einem Projekt arbeiten und sich damit hervorheben. Dann wird ein Gerücht wiedergegeben wonach ein anderer Kollege den Vorzug bekommt. Empört sind sich die zwei Gesprächspartner einig, dass der der Letzte ist, den sie für die Stelle geeignet halten. Und dann kommt das Hinlenken auf die eigene Person: Sie beide sind die hart Arbeitenden in ihrer Abteilung, bereit Überstunden zu machen, damit der Chef immer zufrieden ist. Vielleicht sind sie auch nur länger im Büro, um Eindruck zu schinden ohne dass wirklich Arbeit dahinter steckt. Auf jeden Fall gönnen sie sich beide den Job. Na klar, man kann ja auch nicht offen sagen, dass man nur sich selbst als den Qualifiziertesten, Besten und Größten hält.
Und so sieht man jetzt und so sieht man vor 2000 Jahren den Konkurrenzkampf der Menschen in einer sozialen Gruppe: Unter Arbeitskollegen oder in der Gemeinde Jesu. Schauen wir uns den Text des vorgelesenen Matthäus-Evangeliums wieder an: „Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“ Diese Frage impliziert schon, dass die Jünger glauben gute Werke tun und zeigen zu müssen. Das ist ein pharisäisches Denken und Handeln, welches Jesu ablehnt. Es gibt kein Plus- und Minuskonto der Menschen bei Gott wie sich das die jüdischen Schriftgelehrten zur damaligen Zeit vorgestellt haben. Jesus reagiert auf die Frage seiner Anhänger gewohnt untypisch: Er nimmt ein Kind zu sich und stellt es in ihre Mitte und spricht: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.“ Jesus stellt ein Kind, welches damals eine sehr niedrige gesellschaftliche Stellung und keine Rechte hatte, in den Mittelpunkt der Jünger; Markus berichtet auch, dass er das Kind herzt. Das Kind macht er zum Gegenstand seiner Darlegung, aber nicht, indem er es als Bild des demütigen Jüngers vorstellt, sondern als den Typus eines schwachen, abhängigen und nicht berechnenden Geschöpfes. Er schenkt den Kindern sein besonderes Interesse und will sie den Seinigen ganz besonders empfohlen wissen. Wer auf seinen Sinn eingeht und sie als solche aufnimmt, der nimmt ihn selbst auf.
Wichtig ist hier das kindliche Wesen: Das Kind steht für Unbedarftheit, Leichtigkeit, nicht berechnend und ohne Hintergedanken seiend. Das Kind lässt sich leicht begeistern, nicht der Erwachsene. Der Erwachsene überlegt, wägt ab, wie kommt das an? Jesus will seine Jünger und uns als Gemeinschaft Christi überzeugen das zu überwinden. Er will, dass wir wie ein Kind bedingungslos an Gott glauben. Wir stellen keine Fragen nach dem Nutzen, der Mühe und der Außenwirkung. Indem wir das Kind in unserem Glauben wiederentdecken, werden wir Gott sehen. Wir kennen das Kinderevangelium (Mk 10,13-16), in dem das Volk Kinder zu Jesus brachte, um sie zu segnen. Die Jünger wollten sie aber brüsk verscheuchen. Jesus wurde böse als er das sah und sprach zu ihnen: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“
Nicht nur Abhängigkeit und Schwachheit sind den Kindern eigentümlich, sondern Kinder sind zunächst bereit, ihren Eltern oder anderen Erwachsenen uneingeschränkt zu vertrauen. Gerade dieses Vertrauen befähigt sie, sich beschenken zu lassen, ohne sich zu einer Gegenleistung verpflichtet zu fühlen. Das müssen die Jünger von Kindern lernen: Sich von Gott mit seiner Liebe beschenken zu lassen, wie sie in Jesus Christus zu uns kommt, und in der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, frei von Leistungsdenken, in der Abhängigkeit von Gott zu leben, das führt zur Teilhabe am Reich Gottes.
„Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinem Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ Das ist harter Tobak, an der Stelle merken wir, dass es Jesu todernst mit dem Schutz der Kinder und ihrem Glauben an ihm ist. Man erkennt es als eine eindringliche Warnung an die Erwachsenen, die Kinder nicht zu verderben, sie nicht zum Abfallen von Gott hinzuführen, aber es steckt mehr dahinter: Jesu Anschauungsunterricht will am Kinde nicht das Alter, sondern die innere Haltung wesentlich zur Darstellung bringen. Unter „Kind“ oder „Kindlein“ dürfen wir darum nicht nur „wirklich kleine Kinder“ verstehen, sondern auch solche, die in ihrem Glaubensleben noch Anfänger sind, d. h. „Kinder im Glauben“ darstellen. Jesus sieht die Gefahr. An diesen Anfängern im Glaubensleben könnte großes Unrecht geschehen. Sie könnten innerlich zu Schaden kommen durch die „Erwachsenen“ im Glaubensleben. Jesus will darum um jeden Preis, dass alles gemieden und ferngehalten wird, was Gott widerspricht und zum Anstoß werden könnte bei den Anfängern.
Für „Anfänger“ könnten wir weiter auch noch sagen: „Die Unbedeutenden, Kleinen und Schwachen im Reiche Gottes“. Die Gefahr des „Anstoßgebens“ oder „zum Abfall verführen“ nach der Lutherbibel ist riesengroß. Für „Anstoß“ steht im Griechischen „skandalon“ und bedeutet Skandal. Dieses Wort, das im Deutschen weder durch Ärgernis, noch durch Anstoß, Verführung oder Verderben ganz übersetzt werden kann, bezeichnet offenbar den wundesten Punkt der Gemeinde. Jedes Mal, wenn er berührt wird, schmerzt und empört es Jesus. Skandalon ist das Hindernis, das sich einem in den Weg wirft, so dass man darüber stolpert oder dadurch von der rechten Richtung abgelenkt wird und in das Verderben fällt. Man kann also den Anfängern im Glauben, den Kleinen, sehr leicht durch Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit, böses Beispiel, Hochmut, Nichtbeachtung, Kühle und Kälte im Benehmen, falschen Eifer einen Anstoß geben, so dass sie irre werden und den Glauben wieder verlieren. Man kann ihnen also leicht einen Stein in den Glaubensweg legen, über den sie stolpern, fallen und verderben.
Wichtiger als diese Erkenntnis ist die Liebe, welche bedacht ist, niemanden an seiner Seele zu schaden. Jesus liegen die „Kleinen“ wahrhaftig sehr am Herzen. In der Welt werden sie übersehen und geringschätzig behandelt. Im Reich Gottes gelten sie etwas, ja der Heiland und alle, die seinen Sinn haben, lassen solchen besondere Rücksicht und schonende Sorgfalt zuteilwerden. Das ist natürlich auch auf alte, kranke und schwache Menschen übertragbar, für die die Kirche Christi eintritt.
„Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.“ Das ist ein schönes und bekanntes Bild: Kinder haben Engel im Himmel, die auf sie aufpassen. Gott selbst müht sich durch seine Cherubinen um diese kleinen Geschöpfe. Oft werden Kinder als engelsgleich beschrieben, zumindest wenn sie sich brav verhalten. Aber es geht auch hier nicht nur um „wirklich kleine Kinder“ im eigentlichen Sinne: Gott selbst überträgt die Sorge für die Kleinen und Schwachen und Anfänger im Glauben nicht nur seiner Gemeinde auf Erden, sondern auch seinen hohen und himmlischen Engelscharen. Ungesehen und doch machtvoll leiten diese hohen und erhabenen Geister des Himmels das Leben der Kleinen.
Für dieses Amt ist Gottes Ohr stets wach. Es ist ein wunderbarer Blick in den Himmel, den uns Jesus damit erschließt, indem er uns die hohen, heiligen Engel Gottes, die vor seinem Thron stehen und in seine Herrlichkeit hineinblicken, zugleich mit den kleinen Gliedern unserer menschlichen Gemeinschaft verbunden zeigt. Gottes Auge sieht stets mit hellem Blick der Liebe auch das kleinste Menschenkind. Das sagte Jesus auch seinen Jüngern zum Trost und zur Erweckung ihres freudigen Glaubens. Sie dürfen auch für sich dessen gewiss sein, dass sie für die Sorgen ihrer Liebe, die sich um die Kleinen müht, stets den offenen Zugang zu Gott haben. Solcher Dienst gibt das Eintrittsrecht zu Gottes Thron.
Wir lernen durch dieses Wort auch etwas von der Seligkeit Jesu verstehen! Seine Arbeit auf Erden war ein Dienst am Kleinen. Das hat ihn aber nicht aus der Gemeinschaft mit dem Vater herabgeführt. Vielmehr eben als Diener der Kleinen sieht auch er das Angesicht seines Vaters jederzeit.
Jesus verlangt von uns, dass wir uns erniedrigen, also hinab begeben auf die Ebene eines Kindes, aber nicht nur, sondern auch auf die von Kranken, Schwachen, Armen und Anfängern im Glauben. Damit steht die Gemeinde Jesu mit ihren Maßstäben im Gegensatz zur Welt. Der unerlöste Mensch strebt nach Besitz, Macht und Ansehen, um andere zu überflügeln und zu beherrschen. Das Gesetz des Reiches Gottes dagegen ist, dass alle herabsteigen in die Armut und Schwachheit, um reich zu werden in ihm. Und gerade an der Macht dieses Herabsteigens soll man die Größe des Menschen im Reich Gottes messen. Daher müssen wir immer wieder umkehren von unseren Irrwegen und den Kindern gleichwerden.
Zum Abschluss Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi (Phil 2,3-11): Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dienst. Seid so unter einander gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.