Predigt Juni 2016

Queergottesdienst am 19. Juni 2016 in St. Johannis

 

1. Hinführung zum Thema: Liebe und Ehe im Wandel

 

Diesen Monat vor einem Jahr entschied der Oberste Gerichtshof der USA in einem historischen Grundsatzurteil, dass die gleichgeschlechtliche Ehe verfassungsgemäß ist.* Richter Anthony Kennedy begründet, warum die Ehe zwischen zwei Männern und zwei Frauen zulässig und anzuerkennen ist. Ich zitiere Passagen daraus:

 

Die Geschichte der Ehe ist sowohl eine von Beständigkeit als auch von Wandel. Die Institution – wenn jedoch begrenzt auf andersgeschlechtliche Beziehungen – hat sich über die Zeit entwickelt. Zum Beispiel wurde die Ehe einst als ein Arrangement der Eltern des Paares angesehen auf Grundlage von politischen, religiösen und finanziellen Belangen; aber zur Zeit der Gründung der […] USA wurde es verstanden als ein freiwilliger Vertrag zwischen einen Mann und einer Frau.“

Die Mehrheitsmeinung führt weiter den Wandel der Rolle der Frau in Ehe und Gesellschaft aus, die zusammen mit anderen nicht oberflächlichen Änderungen zu einer tiefen Wandlung der Ehe in ihrer Struktur führte.

Diese neuen Einsichten haben die Institution der Ehe gestärkt, nicht geschwächt. In der Tat ist ein gewandeltes Verständnis der Ehe charakteristisch für eine Nation, in der neue Maße von Freiheit neuen Generationen offenkundig werden oft durch Perspektiven, die in Appellen oder Protesten beginnen und dann im politischen Bereich und im juristischen Prozess betrachtet werden. Diese Dynamik kann man in den Erfahrungen der Nation mit den Rechten von Schwulen und Lesben sehen.“

Das Gericht führt die Verdammung und Bestrafung von homosexuellen Handlungen an, die Verweigerung ihrer Würde für ihre eigene Identität, den Rückzug ins Verborgene und die vielfältigen Diskriminierungen. Die letzten Jahre und Jahrzehnte brachten einen Wandel der Ansichten über Homosexuelle und den Umgang im ihnen in der Gesellschaft sowie im Recht und Gesetz. Richter Kennedy schließt mit pathetischen Worten und weist den Vorwurf der Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe zurück, diese würde die Bedeutung der Ehe herabmindern.

Kein Bund ist tiefgründiger als die Ehe. Er vereint in sich die höchsten Ideale der Liebe, Treue, Hingabe, Aufopferung und Familie. Indem sie die Ehe eingehen, werden zwei Menschen zu etwas Größerem als zuvor. Wie manche Kläger uns zeigen, verkörpert die Ehe eine Liebe, die so groß ist, dass sie sogar den Tod überdauert. Anzunehmen, dass diese Männer und Frauen die Idee der Ehe nicht respektieren, würde ihnen nicht gerecht. Sie respektieren sie, sie respektieren sie so sehr, dass sie diese Erfüllung für sich selbst wünschen. Ihre Hoffnung ist, dass sie nicht dazu verdammt sind, in Einsamkeit zu leben, ausgeschlossen von einer der ältesten Institutionen der Zivilisation. Sie erbitten sich die gleiche Würde vor dem Gesetz. Die Verfassung garantiert ihnen dieses Recht. So wird es angeordnet.“

 

Wir singen aus dem großen Gesangbuch das Lied Nr. 401, die Strophen 1-3+7 „Liebe, die du mich zum Bilde“.

 

* Obergefell v. Hodges No. 14–556, Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA vom 26.06.2015

 

2. Predigt zu Hoheslied 8,6-7 „Liebe stark wie der Tod“

 

Gnade sei mit uns und Friede von dem der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Der heutige Predigttext hat gerade mal zwei Verse und sagt doch unwahrscheinlich viel aus über die Liebe zwischen Mensch und Mensch und zwischen Gott und Mensch. Das Hohelied, das nach der Überlieferung König Salomo zugeschrieben wird, hat das Vorbereitungsteam als ein Sinnbild wahrgenommen und die allegorische Auslegung hat tatsächlich eine lange Tradition: Die Liebe Gottes zu seinem Volk wird dargestellt unter dem Bild der Liebe zwischen zwei Menschen, damals natürlich nur zwischen einer Frau und einem Mann. Wir haben hier wohlgemerkt immer zwei Sichtweisen: Die Menschliche Liebe und die Liebe Gottes.

 

Bleiben wir zunächst bei der ersten. Die Liebe ist stark wie der Tod. Das bedeutet Liebe ist genauso stark, also ebenbürtig, wie der Tod. Beiden werden gleiche Kraft zugeschrieben. Die Liebe zu einem Menschen kann über dessen Tod hinaus bestehen bleiben. Eine Verbundenheit die hoch emotional ist und zu einem Problem werden kann, wenn man nach dem Tod des anderen keinen Weg findet mit ihr einen neuen Lebensabschnitt zu beschreiten. „Leidenschaft ist unwiderstehlich wie das Totenreich“ wird in einer anderen Übersetzung wie folgt überliefert: „Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt.“

 

Mit dichterischer Kraft beschreibt der Verfasser die Liebe wie folgt: „Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.“ Die Liebe entsteht und bleibt bestehen durch Zuneigung, Leidenschaft und Emotionen. Sie kann nicht zwangsweise von außen aufgebaut oder zerstört werden. Seien es arrangierte Ehen, wie wir sie früher in unserem Kulturkreis hatten und jetzt noch in anderen Gesellschaften vorfinden oder standesgemäße Vermählungen. Durch gesellschaftlichen Wandel hat sich Gott sei Dank viel geändert. Sehr lange Zeit wurden keine Verbindungen zwischen Arm und Reich, adelig und bürgerlich oder Anhängern unterschiedlicher Religionen geduldet. Gemischtrassige Ehen und homosexuelle Liebe waren auch in westlichen Ländern verboten. Hier bedurfte es Aufrufen, Kampagnen und Demonstrationen, also die Arbeit der Schwulen- und Lesbenbewegung, Klagen und gesetzlichen Änderungen, damit auch Randgruppen wie wir Fortschritte verzeichnen konnten. Eine völlige Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe ist in Deutschland bekanntlich noch nicht erreicht. Auch bei Angehörigen verfeindeter Völker, wie Juden und Palästinenser, oder verfehdeter Familien, zum Beispiel Romeo und Julia, ist es nur mit vielen Hindernissen möglich den Bund der Ehe eingehen zu können. Genau an so einem Beispiel zeigt sich doch deutlich, dass die Liebe keinen Halt vor Nationalität, Ethnie, Religion, Geschlecht, gesellschaftlicher Schicht, Alter und so vielem mehr macht und sich zwei Menschen trotz aller Widerstände sich verlieben, lieben und zusammenbleiben wollen. Hier zeigt sich wie stark Liebe ist.

 

Ich will zur besseren Einordnung natürlich nicht unterschlagen, dass Menschen als Paar auch ohne Trauschein und Verpartnerungsurkunde zusammenleben ohne dass diese Verbindung emotional irgendeiner Weise dem Ehestand ungleich ist. Sie verzichten mehr oder weniger bewusst auf diesen „Verwaltungsakt“ im Standesamt, warten auf den richtigen Moment oder brauchen einfach lange Zeit. Letzten Monat heirateten zwei Freunde von mir nachdem sie bereits zehn Jahre zusammen waren.

 

Der letzte Vers unseres Textes:

Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“ Liebe kann man nicht erzwingen, man kann sie nicht erkaufen. Man kann einen Menschen nicht zwingen sich in einen anderen bestimmten Menschen zu verlieben. Dafür ist die Liebe wohl zu zufällig und in vieler Weise unerklärbar. Die freie Auswahl der Partnerin bzw. des Partners mit dem Wegfall von arrangierten Ehen und gewissen gesellschaftlichen Konventionen hat die Institution der Ehe tatsächlich gestärkt wie Richter Kennedy feststellt. Man kann auf der anderen Seite auch das Fortbestehen der Liebe zu einen Menschen nicht erzwingen. Leider ist es so, dass Menschen sich auseinanderleben, trennen und scheiden lassen. Der eine Partner verliebt sich in einen anderen. Bei der menschlichen Liebe kann die Glut sehr wohl erlöschen.

 

Gottes Liebe zu den Menschen hingegen vergeht nie. Das macht der Text auch bei der zweiten Sichtweise, also der Liebe Gottes zu uns Menschen, deutlich. Von den christlichen Schriftstellern wurde nämlich das Hohelied auf die Verbindung Christi mit der Kirche oder auf die mystische Einheit der Seele mit Gott ausgedeutet. Die Liebe Gottes lässt sich auch nicht unterdrücken. Das beinhaltet sowohl, dass Gottes Liebe zu einem einzelnen Menschen als auch die zu allen Menschen als seine Geschöpfe sich nicht unterbinden lässt. Das trifft zu für Menschen, die leider keine freie Religionsausübung in ihren Ländern oder in ihrem Umfeld genießen. Die nur mit Vorsicht oder gar heimlich und im Vorborgen ihren Schöpfer anrufen können. Die mit Bedrohung rechnen müssen. Denken wir an die vielen Schwestern und Brüder, die vor allem in muslimischen Ländern um Christi willen verfolgt werden. Es trifft aber auch auf unsere Mitmenschen zu, die sich nicht mit Gott befassen, sich von ihm abgewandt haben, ihn verleugnen oder ablehnen. Auch für sie brennt die Flamme des Herrn. Gott hat seinen Sohn für alle Menschen in die Welt gesandt. Die Glut von Gottes Liebe lässt sich nicht löschen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unser Denken, Fühlen und Handeln in Jesus Christus. Amen.