Predigt März 2010

Predigt für den Queergottesdienst am 21. März 2010

Predigt zu 1. Mose 3,1-19 – der Sündenfall – „Wollen wir überhaupt aus dem Kreislauf des Bösen ausbrechen?“

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Der Sündenfall, das Essen von der Frucht des Baumes der Erkenntnis (in der Kunst meist als Apfel dargestellt, aber nicht biblisch überliefert) ist heute unser Thema und es ist bereits im Laufe des Gottesdienstes klar geworden, dass es hierbei um weit mehr geht als den ersten Ungehorsam des Menschen gegenüber Gott.

I. Das Paradies

Eigentlich hatten es doch Adam und Eva richtig gut im Paradies; wie der Name schon sagt, ihnen ging es paradiesisch. Da wäre es doch nicht viel von ihnen verlangt gewesen, dieses eine Gebot von Gott einzuhalten: „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“

II. Der Sündenfall

Aber die Vorstellung, die Erkenntnis von Gut und Böse zu haben, war zu verführerisch. Ich nenne es mal ein drittes Wesen, in der Bibel dargestellt als Schlange, das kommt zu Eva und zieht geschickt Gottes Anweisung in Frage und sagt: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ Es ist auffallend, dass bei dem Text, der dem vorangegangen ist, die Schlange im Konjunktiv spricht, eine Suggestivfrage stellt: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“. Und der Mensch springt darauf auf. Plötzlich war ihre Nacktheit ein Problem für sie geworden. Denn ihnen wurde gewahr, in dem Moment als sie von der Frucht des Baumes aßen und nun die Erkenntnis von Gut und Böse hatten, die Grenzmarke überschritten zu haben, die Gott ihnen gezogen hatte, und nicht mehr zurück konnten. Sie haben Gottes Gebot missachtet, mit Füßen getreten, sie haben gesündigt und damit Schuld auf sich geladen. Sünde ist Schuld. Und was fühlt der Mensch, wenn er erkannt hat, dass er sich schuldig gemacht hat? Scham. Er schämt sich für seine Tat. Da hätte es nicht einmal kühl sein müssen im Garden Eden, damit sich Adam und Eva Schürzen aus Feigenblätter flochten. Sie verstecken sich vor Gott im Garten. Nun ruft Gott Adam, der sich daraufhin erklären muss und Gott, der Herr, gerät in Rage.

Bevor der Schöpfer die beiden aus dem Paradies vertreibt, straft er Frau und Mann und weist sie zurecht. Bei der Vorbereitung sprach ich zu Christof: „Sag’ mal, kommt nur mir das so vor, dass Gott dem Mann mehr straft als die Frau?“ Ich will damit auf gar keinen Fall die Geburtsschmerzen einer Frau – vor allem da sie bis vor ungefähr einem Jahrhundert ungleich mehr Kinder geboren hatte als heute – oder das durchaus harte Los, gegenüber dem Mann als nicht gleichwertig angesehen zu werden, verharmlosen. Aber während Gott es mit seiner Strafe für Eva bei einem Vers belässt, benötigt er bei Adam ganze drei Verse.

Das veranlasst uns, zum Abschnitt mit der Verführung durch die Schlange und dem Essen vom Baum der Erkenntnis zurückzukehren. Nachdem die Schlange die Anweisung Gottes in Frage stellt, widerspricht die Frau und gibt des Herrn Gebot genau wieder. Erst als die Schlange nachdrücklicher wird und nicht mehr im Konjunktiv spricht, überlegt sie; überdenkt die Argumente, die dafür sprechen und die Sache so verlockend, ja, gar unwiderstehlich für sie machen, und entscheidet sich. Aber dann wird in knappen Worten geschildert: Ihrem Mann, der bei ihr war, gibt sie von der Frucht und er aß. Ohne ein Wort, ohne zu protestieren mit Hinweis auf Gottes auferlegter Regel, ohne irgendwie nachzufragen, nimmt dieser Idiot von Adam die Frucht und isst von ihr.

Als Eva mit der Schlange redete wird er sich wohl gedacht haben: Typisch Frau, muss immer erst herumdiskutieren und über alles sprechen. Ich brauche keine Worte, ich entscheide und handle sofort. In diesem Zusammenhang kann ich dem lieben Paulus nicht zustimmen, wenn er im 1. Timotheusbrief schreibt: „Und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber hat sich zur Übertretung verführen lassen.“ (1. Tim 2,14)

III. Herausreden aus der Schuld

Und was macht Adam als Gott von ihm Rechenschaft verlangt: Er redet sich aus der Schuld heraus. Er schiebt sie Eva zu. Er will keine Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Eine Verhaltensweise, die wir doch all zu oft sehen: Politiker, die eigenes Versagen nicht eingestehen wollen, irgendein Bauernopfer muss dafür herhalten. Unternehmer treiben ihre Firmen an den Rand des Abgrund oder gleich in die Insolvenz, weil ihnen die Gewinne nicht groß genug sein können; Geschäftsmodelle und Umstrukturierungen einführen, die nicht funktionieren; auf Entwicklungen nicht richtig oder gar nicht reagieren.

Und bei uns? Stehen wir immer gerade für Fehler, die uns auf der Arbeit unterlaufen sind oder geben wir nicht auch ganz gerne mal die Schuld den Kolleginnen und Kollegen? Haben nicht auch wir dazu beigetragen, dass, um unserer eigenen Bereicherung willen, wir uns auf Geschäfte und Praktiken eingelassen haben, die wir nun verfluchen? Zeigen wir unseren Partnerinnen und Partner, unserer Familie und Freunden immer den Respekt und die Aufmerksamkeit, die sie verdienen? In der stärksten Form kann es bei uns Menschen so sein wie hier in unserem Text mit Adam: Schuld haben immer die Anderen.

Adam schreckt nicht einmal davor zurück, Gott selbst eine Mitschuld an der Situation zu geben, indem er sagt, dass er nur auf die Frau gehört hat, die er ihm zugesellt hat. Eva zieht es auch lieber vor, ihre Schuld nicht einzugestehen und verweist darauf, dass die Schlange sie betrogen hat.

IV. Die Auswüchse der Sünde

Dieses sein wollen wie Gott, es ihm gleich machen zu wollen. Wir maßen uns die Rolle des Schöpfers, Arztes und Richters an. Seit Adam und Eva führt dies in der Menschheitsgeschichte immer wieder zu verheerenden Katastrophen: Ein Mensch will sich zum Herrn eines anderen Menschen machen. Unterwirft und unterdrückt ganze Völker, baut Konzentrationslager, führt Kriege, verbricht Genozide. Zu dieser schlimmsten Form fallen uns Begriffe wie Massenmord, ethnische Säuberungen, Shoah, Holocaust ein. – Selbst solch eine Umschreibung für Ärzte „die Götter in weiß“ sind hochproblematisch. Dass der Mensch die Erkenntnis von Gut und Böse hat, muss nicht immer gut sein. Es schreckt uns auf, wenn wir hören, wie weit die Gentechnik noch entwickelt werden soll beziehungsweise sich schon hat. Wenn zum Beispiel das Erbgut der Pflanzen so geändert wird, dass sie resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten sein sollen. Später stellt sich heraus, dass diese Pflanzen für Krankheiten, die für nicht genmanipulierte Gewächse kein Problem darstellen, um ein vielfaches anfälliger sind und die ganze Ernte zu vernichten bedrohen.

V. Das Wesen der Sünde

Ich habe euch viel zu den Auswüchsen der Sünde erzählt. Letztes Jahr, zum Kirchentag in Bremen nahm ich an einem Vortrag/Diskussion von Peter Steinacker, ehemaliger Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, teil. Prof. Steinacker führte in seiner Landeskirche die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ein. Er referierte zum Thema „Verbietet die Bibel Homosexualität“. Ein Teilnehmer fragte, ob man die vermeintliche Sünde der Homosexualität laut der Bibel nicht besser und viel stärker auch mit der Schrift beantworten solle, anstatt mit dem Vers aus dem Johannesevangelium zu kommen: Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. (Joh 8,7b) Ein Text, der gerne bemüht wird, um uns queere Leute nicht all zu doof aussehen zu lassen. Peter Steinacker sensibilisierte das Publikum dafür, das Wesen der Sünde, das Ursprüngliche an ihr uns klar zu machen und nicht die Erscheinungsweisen (Gier, Lügen, Stehlen, Töten etc.). Wir müssen uns gegenwärtig machen, dass der Mensch ein zutiefst zerrüttetes Wesen ist, was ein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Schöpfer hat. Es geht um das Seinwollen wie Gott und damit zugleich um den Verlust der Unschuld, die sich kindlich an den Vater und Schöpfer, ich ergänze Mutter und Schöpferin, klammert. Die Unschuld wird ersetzt durch die eigenmächtige Erkenntnis von Gut und Böse. Im Sündenfall revoltiert das Ich und greift nach einer angeblich vorenthaltenen Freiheit. Darin zeigt sich das Wesen der Sünde: In ihr wendet sich der Mensch von Gott ab, sowohl im Hinblick auf die Furcht wie auf das Vertrauen auf Gott gegenüber, und erhebt sein Ich auf den Thron. Es ist also ein Abfall, eine Trennung von Gott, weil das ganze Leben in Beziehung zu Gott steht. Es ist ein Leben ohne Gott. Wer Sünde tut lebt gott-los, ein Sünder ist ein Gott-loser. So hart ist die Erkenntnis.

Der Sündenfall ist das entscheidende Ereignis nach der Schöpfung. Durch ihn verliert die Menschheit das Paradies, die Gemeinschaft mit Gott. Hier wird über die ganze Menschheit entschieden, die Menschen sind vollständig von ihr befallen. Jede einzelne Sünde hat hier ihren Ursprung und ihr Vorbild. Durch den Kirchenlehrer Augustinus wurden die Begriffe Ursünde oder Erbsünde geprägt. Die Lehre sagt aus, das seit Adam und Eva kein Mensch ohne Sünde geboren wird, diesen Zustand gleichsam geerbt hat. Das ist für viele nur schwer zu ertragen, wenn doch Psychologen und die langläufige Meinung uns vermitteln, dass kein Mensch von Geburt an böse ist. Vielleicht spielt es auch hier wieder eine Rolle, ob man das eigentliche Wesen der Sünde im Auge hat.

Die Sünde ist ein selbstverschuldeter Zustand, in dem der Mensch als sein eigener Gefangener lebt, der die Sünde nicht überwinden kann, sondern ihr untertan ist. Denn „wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht“ (Joh 8,34) schreibt der Evangelist Johannes. – Mein Gott, können wir uns überhaupt aus der Sünde erretten? Wollen wir überhaupt aus dem Kreislauf des Bösen ausbrechen?

VI. Hinweis auf Überwindung der Sünde im Alten Testament

Das Alte Testament kommt mit der Sünde und dem Sünder nicht zu Ende. Es weiß nur einen vorläufigen Ausweg – ich nenne es eher einen Versuch, die Situation erträglicher zu machen: Opferdienst, kultische Gebote, Reinheitsvorschriften, die zehn Gebote. Aber es weist mit dem Propheten Jesaja auf die Lösung hin: „Führwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsre Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4-5)

VII. Überwindung der Sünde durch Jesus Christus

Die Überwindung der Sünde heißt Jesus Christus. Jesu Dienst, sein Wirken ist die Überwindung der Sünde und die Rettung aus ihr. Ohne ihn können wir nur in der Sünde verharren. Er bricht sie aber auf. In Jesus streckt Gott seine Hand aus, die den Menschen zu ihm heimholt. Jesus überwindet sie im Auftrag Gottes, dazu ist er bevollmächtigt, weil er die Sünde der Welt trägt. Er befreit uns von der drückenden Last dieses Kreuzes und verhilft uns zur vollen Freiheit und zum ewigen Leben. Und der Mensch muss nur „ja“ sagen. „Da wir nun gerecht geworden sind, durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.“ (Röm 5,1-2) Und in der Taufe wird der alte Adam in uns ersoffen. Paulus drückt es eher sperrig aus: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, sind in seinen Tod getauft. So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit wie Christus auferweckt ist von den Toden durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. (Röm 6,3-4)

Gott hat schon gegenüber Adam und Eva Gnade walten lassen, indem er sie nicht, wie angedroht, an dem Tage, an dem sie vom Baum der Erkenntnis aßen, sterben ließ. Aber mit der Sünde ist der Tod in die Welt gekommen. Und wie sein Sohn den Tod überwunden hat, können wir ihn überwinden im Glauben an ihm und das ewige Leben erlangen.

VIII. Warten auf Wiederkunft Christi, Umkehr

Das Leben im Glauben ist spannungsvoll. Denn Befreiung von der Herrschaft der Sünde in dieser Leiblichkeit heißt nicht Sündlosigkeit. Man könnte auch sagen, dieser Zug ist abgefahren. Wir sind noch nicht zur Vollendung gelangt, sondern wir warten darauf, dass das Böse mit der Wiederkunft Jesu endgültig vernichtet wird. Bis dahin müssen wir uns durch Jesu immer wieder reinigen. Luther verwendet das Wort Buße. Umkehr trifft es besser. Wir müssen innehalten in einer lauten, chaotischen Welt. Unser eigenes Verhalten immer wieder kritisch reflektieren und nicht nur das der Anderen. Unsere Schuld erkennen; umkehren; um Vergebung bei den Menschen bitten, denen wir Unrecht getan haben; selbst denen vergeben, die uns Unrecht getan haben; und um Vergebung bei Gott bitten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen