Predigt Juli 2012

Queergottesdienst am 15.05.2012, St. Johanniskirche Nürnberg

“Gegen die Regeln – Lesben und Schwule im Sport”

Der Gottesdienst wurde anlässlich der Ausstellung "Gegen die Regeln - Lesben und Schwule im Sport" gefeiert. Die Ausstellung fand vom 15. Juni 2012 bis 5. August 2012 im Haus eckstein (Haus der Evang.-Luth. Kirche in Nürnberg) statt.

Aufwärmübung: Vignetten zu Kirche & Sport
(Jeweils nach dem Benennen zwei Textstreifen an das Seil klammern.)

Einleitung Silvia: Aufwärmübung - Wir haben uns überlegt, zu einem Sportgottesdienst gehört auch ein wenig Aufwärmen. Das machen wir nachher auch noch körperlich – ein wenig Bewegung gehört heute natürlich auch dazu.

Aber jetzt erst einmal eine geistige Aufwärmübung:

Viele haben uns im Vorfeld dieses Gottesdienstes komisch angeschaut: Kirche und Sport - was hat das denn miteinander zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, aber auf den zweiten Blick dann schon. Vor allem, wenn wir von Religion und Sport sprechen.

Ein paar Zusammenhänge, die uns eingefallen sind - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Religion und Sport sind jeweils eine Leidenschaft. Bei Beiden bin ich ganz persönlich, mit meiner tiefsten Überzeugung gefragt. (Vignette: Leidenschaft)
  • Sowohl in der Religion als auch im Sport bin ich als ganzer Mensch gefordert. Voller Einsatz mit Leib und Seele gehört zu beiden. (Vignette: Mit Leib und Seele
  • Sowohl in Religion als auch in Sport spielen Gemeinschaftserlebnisse eine wichtige Rolle. Eine Gemeinschaft, die über alle Grenzen von Geschlecht, Klasse, Rasse, sexueller Orientierung hinweg verbinden kann. (Vignette: Gemeinschaft)
  • Eine Sportveranstaltung wie z.B. ein Fußballspiel, hat - wie ein Gottesdienst - eine Liturgie. Das Stadion feiert, lobt, trauert und bejubelt, was ihnen geschenkt wird. (Lob, Trauer, Jubel, Feier)
  • Sowohl Religion als auch Sport schenken Kraft und seelische Ausgeglichenheit im Leben. Nicht wenige Sportler sieht man vor ihrem Wettkampf ein Gebet sprechen oder sich bekreuzigen. Und Pilgern als religiöses Tun hat ja auch viel mit Sport zu tun! (Kraft für Körper & Seele)
  • Zwei Hinweise aus der Bibel finde ich noch wichtig:
    • Im 1. Korintherbrief (1. Kor 6,19) bezeichnet Paulus unseren Körper als den Tempel Gottes, auf den wir aufpassen sollen. (Körper als Tempel Gottes) Entsprechend kümmert sich auch Jesus gerade in den Berichten über Heilungen immer um den ganzen Menschen, körperliche Heilung hatte für ihn immer auch mit seelischer und geistlicher Heilung zu tun.

Lesung: Lukas 13, 10-17

1. Teil der Predigt

(Verkrümmungen heute mit Patrics Geschichte am Anfang: Beispiele für Verkrümmungen und den bösen Geist im Sport und in der Kirche:)

Einleitung Silvia:

Liebe Queergemeinde,

die Heilungsgeschichte von der verkrümmten Frau zeigt unserer Meinung nach besonders gut, wie die Heilung von Leib und Seele, wie die körperliche Befreiung und die seelische Freiheit ganz unmittelbar zusammenhängen. Die Geschichte lässt offen, wie es zu dieser Erkrankung kam. Heute wissen wir, dass körperliche Erkrankungen oft seelische Ursachen haben. Eine äußerliche Verkrümmung kann Zeichen für die innerliche Verkrümmung sein. Im Text selbst heißt es, ein böser Geist, ein Dämon hätte die Frau geplagt.

Zur Zeit Jesu und noch viele Jahrhunderte danach hat man versucht mit dem Begriff "böser Geist" etwas zu beschreiben, was wir heute vielleicht als seelische Überbelastung, psychische Erkrankung oder Ähnliches bezeichnen würden. Wenn wir heute von einem bösen Geist, einem Dämon sprechen, meinen wir oft genau das: eine psychische Belastung; übermächtige Erwartungen, die wir an uns selbst haben, oder Erwartungen anderer, denen wir genüge tun wollen.

Gerade im Sport, besonders im Profi-Sport wird mit Erwartungen an Sportlerinnen und Sportler nicht gegeizt. Da gibt es die Hoffnungsträgerinnen, die hervorragenden Fußballspieler, die exzellenten Techniker etc. pp. Und kaum äußert man solche Etiketten, ist damit schon eine Erwartung gesetzt. Für gute bzw. hervorragende Leistungen ist es deshalb wichtig, dass ein Sportler psychisch im Gleichgewicht und körperlich bestmöglich trainiert ist.

Wie sieht es da bei homosexuellen Sportlern und Sportlerinnen aus, die sich ein Outing nicht trauen oder nicht leisten können? Angst vorm Outing kann einen Sportler blockieren und damit gute Leistungen verhindern. Denn die Psyche ist dann zusätzlich damit beschäftigt, sich zu verstecken. Auf dem Punkt fit sein – das kann schief gehen, wenn ich nicht zu mir selbst stehen kann.

Vergleichbares gilt doch auch in Religion und Kirche: Zum Glauben gehöre ich als ganzer Mensch und da kann ich nicht einfach meine sexuelle Orientierung von mir abschneiden. Auch wenn es in unseren Kirchen immer noch Menschen gibt, die meinen, Homosexualität dürfte man nicht ausleben oder müsste man sogar heilen, bin ich vom Gegenteil überzeugt. Ich denke, wir müssen eher von der Unsitte geheilt werden, jemand anders sein zu wollen als wir sind. Die Heilung bzw. das Heil, das uns Menschen gut tut, führt dazu, dass wir uns so annehmen wie wir sind. So kann ich dann auch Glauben und Lebensfreude positiv nach außen strahlen, wenn ich meine Homosexualität nicht leugnen muss.

In unserer Heilungsgeschichte ist die Rede vom bösen Geist, vom Dämon, der die verkrümmte Frau plagt. Auch der Geist der Homophobie, der Geist der Angst vor dem Fremden und Unbekanntem ist so ein böser Geist, der Menschen verkrümmt und plagt. Deshalb gibt es bis heute Beispiele,  wo Menschen heute verkrümmt sind und verkrümmt werden. Wir haben aus unseren Erfahrungen in Kirche & Sport ein paar Beispiele für Euch zusammengestellt.

Es beginnt mit dem schwulen Fußballer Patric, der in einem Heteroverein spielt. Seine Geschichte haben wir in einem Interview in dem Buch "Seitenwechsel" von Tanja Walther gefunden:

  • Hannes: Verkrümmungen von Seite 2 vom Interview mit Patric aus Buch Seitenwechsel
  • Hannes: Eine anderes Beispiel haben mir Freundinnen erzählt: Tanzschule will keine homosexuellen Paare im Hetero-Tanzkurz
  • Tim: Zwei Beispiele aus dem Profi-Sport über Erwartungen, die andere unter Druck setzen:
  • DFB hat noch vor ein paar Jahren den Fußball-Nationalspielerinnen untersagt, bei den Euro-Games mitzuwirken. Die Euro-Games sind sozusagen die Europameisterschaften aller europäischen schwul-lesbischen Sportvereine. (Tim)
  • Sponsoren-Rückzug im Profi-Sport zum Beispiel bei Imke Duplitzer (Tim)
  • Silvia: Natürlich gibt es solche Erfahrungen auch im kirchlichen Bereich. Ich selbst saß einmal als sog. Betroffene bei einer Podiumsdiskussion in Ansbach zur Öffnung der Pfarrhäuser für Schwule und lesbische Pfarrer/innen auf dem Podium. Im Publikum waren zu 90% extrem homophobe Christinnen und Christen. Die Stimmung im Raum war absolut aggressiv, weil die Öffnung der Pfarrhäuser absehbar war. Ich habe noch nie derartige Intoleranz und Aggressivität im kirchlichen Kontext erlebt. Aber was noch viel schlimmer war: Das Publikum hat - wie es in sehr frommen Kreisen wohl üblich ist - getrennt zwischen uns als Betroffenen und der Homosexualität an sich. Ich weiß zwar nicht wie das gehen soll, aber gerade diese Spaltung habe ich an dem Abend dann auch selbst in mir gespürt. Ich weiß nicht genau wie ist das beschreiben soll. Aber ich bin von dieser Veranstaltung mit einem inneren Gefühl der Zerrissenheit und des Besessen-Seins nach Hause gefahren. Ich war nicht mehr bei mir. Diese Homophobie hat mich im tiefsten Inneren erschüttert und mir Angst gemacht. -
  • Ich denke, wenn wir uns diese fünf Beispiele von heute ansehen, wird deutlich, wie der böse Geist der Homophobie wirkt und Menschen verkrümmen kann.

2. Teil der Predigt

Heilsame Berührungen heute mit Patrics Geschichte zum Abschluss

Überleitung Silvia: In unserer Bibelgeschichte richtet Jesus die verkrümmte Frau wieder auf. Er spricht Ihr die Heilung zu und legt ihr seine heilenden Hände auf. "Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott.".

Das Aufrichten der Frau und ihre Heilung sind natürlich ein überraschendes Wunder. Ein Wunder von Jesus gewirkt. Das gibt es nicht alle Tage. Doch es gibt die vielen kleinen Wendungen und Änderungen im Leben. Die kleinen Wunder im Alltag.  Es sind Heilungen, wenn auf einmal im Inneren etwas wieder passt, oder wenn ich den Eindruck gewinne: jetzt ist es Zeit, jetzt ist der Entschluss reif!

Und dann gibt es natürlich auch heute noch die großen Entscheidungen, die wichtigen Schritte im Leben, die Wendungen, hinter die ich nicht mehr zurück kann, die mich aber einen Riesenschritt voranbringen. Wenn man manchen geouteten Sportler, manch geoutete Sportlerin hört oder liest, dann klingt das schon wie eine Heilungsgeschichte: Das Outing war eine echte Befreiung, ja ein heilsamer Schritt zurück ins Leben. Eine Heilung im guten Sinne des Wortes.

Ich weiß, im Zusammenhang von Homosexualität und Kirche muss man immer vorsichtig sein, mit Heilungsaussagen. Doch uns geht es hier darum, Heilung als Heil-Werden zu verstehen. Also: mit dem Menschen einverstanden zu werden, der wir sind - ob wir nun homo- oder heterosexuell sind. Manchen fällt das ja leicht im Leben, denn sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein geschenkt bekommen. Andere brauchen Unterstützung von außen, damit sie auch innerlich stark genug sein können. Auch dafür haben wir Beispiele aus Sport und Kirche für Euch:

  • Tim: (Tim mit seinem 4-Sprung) Solidarität der Nicht-Betroffenen: Beispiel, dass Gemeindepfarrer einen offen bi lebenden Transmann als Ehrenamtlichen für die Konfi-Freizeit im Team engagiert. - Queere Gottesdienste und Schwul-Lesbische Sportverbände bieten auf dem Weg Schutzräume und Krafträume, die Erfahrung, dass Queers so sein dürfen wie sie sind.
  • Silvia: Ich glaube, um die krank-machende und diskriminierende Homophobie zu überwinden ist die Unterstützung durch andere, gerade auch Nicht-Betroffene sehr wichtig. Es geht darum, das Angstklima durch ein freundliches Gesellschaftsklima zu ersetzen. So hat für den Sport zum Beispiel der Deutsche Fußballbund eine Kampagne gegen Homophobie gestartet. Das ist sicher nur ein Anfang. Aber es gibt Vereine, die das Thema inzwischen aufgreifen und für sich umsetzen. Auch in unserer evangelischen Kirche gibt es als jüngstes Beispiel die Entscheidung der Landessynode für die Öffnung der Pfarrhäuser für lesbische und schwule Pfarrer/innen mit Partner/in. Das ist nicht nur ein Zeichen an die betroffenen Geistlichen, sondern auch an die ganze Kirche. Denn irgendwie sind die Pfarrhäuser doch immer ein Symbol dafür, was an Moralvorstellungen geht und was nicht. Mal sehen, wie das jetzt umgesetzt wird.
  • Silvia: Schließlich finde ich es auch schön, dass die Ausstellung "Gegen die Regeln" im Haus eckstein aufgestellt werden kann, dem Haus der evang. Kirche in Nürnberg. Homosexuelle Menschen und die diskriminierenden Strukturen, mit denen sie in Sport und Gesellschaft zu kämpfen haben, werden dort in eher heterozentrierten Zusammenhängen sichtbar und freundlich betrachtet. Auch hier also Solidarität der Nicht-Betroffenen, die ein wichtiger Schritt hin zur Normalität für alle Queers ist.
  • Homophobie zurückdrängen passiert, wenn wir uns bewusst machen, wie die Strukturen funktionieren, und dann bewusst dagegen handeln. Schließlich braucht es dazu auch ein freundliches Klima, in dem Betroffene leichter zu sich stehen können. Das gilt für Kirche und Sport genauso wie für alle anderen Bereiche des Lebens. Überall, wo wir zu diesem freundlichen Klima beitragen können, sind wir Teil des Heilungsprozesses. Überall da vergegenwärtigen wir das heilsame Handeln Jesu, wie er es z.B. an der verkrümmten Frau gezeigt hat.

Auch bei Patric gab es solch einen heilsamen Prozess. Und so soll seine Outing-Geschichte am Schluss unserer Patchwork-Predigt stehen.

Hannes liest aus dem Seitenwechsel-Buch.

Amen.