Predigt Juni 2007
Queergottesdienst am zweiten Sonntag nach Trinitatis
17. Juni 2007
Wochenspruch: Christus spricht: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. (Mt 11, 28)
Predigttext: Jes 55, 1 – 3b (3c – 5)
Liebe Queergemeinde,
meine lieben Schwestern und Brüder!
Wenn ich einmal tagsüber nicht im Büro, sondern bei mir zu Hause arbeite, gehe ich nur noch ungern ans Telefon. Mitunter warte ich sogar, bis der Anrufbeantworter anspringt – das ist zwar nicht besonders höflich, schont aber die eigenen Nerven. Ihr kennt das sicher auch: „Haben Sie einmal fünf Minuten Zeit für eine kurze Umfrage?“, „Spielen Sie gern Lotto?“, „Sie haben doch sicher einen Traum, den Sie sich gern erfüllen möchten …“, „Kennen Sie schon …?“, „Erinnern Sie sich noch an unser Preisausschreiben. Sie haben zwar leider nicht gewonnen, aber wir haben dennoch ein tolles Angebot für Sie …“ – so oder ähnlich beginnen viele Gespräche, wenn man sich dazu entschließt, den Hörer doch abzunehmen. Erst vor kurzem war in der Zeitung zu lesen, daß das Telefonmarketing um mehr als ein Drittel zugenommen habe. Doch wir sind inzwischen gewarnt: Der vermeintliche Gewinn ist oft nur ein Lockmittel, das Angebotene ist überteuert, viele Versprechen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als unseriös. Noch schlimmer sieht es bei den unzähligen Spammails aus: Das schnelle Geld, der beste Sex oder die allseits bekannte Penisverlängerung sind nahezu tägliche Begleiter, wenn man seinen elektronischen Briefkasten öffnet. – Ich muss gestehen, dass mir die Werbeanrufe inzwischen so lästig geworden sind, dass ich mich vor kurzem auf die sogenannte Robinsonliste habe setzen lassen – mal schauen, ob es etwas nützt.
Und was hören wir da heute im Predigttext? Wohlan, kommt her! Kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst! – Ja, zugegeben: Freibier läßt sich wohl keiner von uns gern entgehen. Aber wie gesagt: Wir sind gewarnt. Das kann doch gar nicht möglich sein. Irgendwo ist da bestimmt ein Haken dabei! Auf diesen Marktschreiertrick falle ich nicht herein. Umsonst – so weiß es der Volksmund – ist schließlich nur der Tod, und der kostet bekanntlich das Leben. Doch wer hier so marktschreierisch auftritt, scheint uns durchschaut zu haben: Allzu verführerisch wirkt oftmals die schnelle Befriedigung, als daß wir uns ihr entziehen könnten. Allzu oft fallen wir dann doch auf leere Versprechen herein und kaufen Brot, das letztlich nicht satt macht. „Alles – ich – sofort“ – so umschreibt Bernhard Bueb in seiner heftig diskutierten Streitschrift „Lob der Disziplin“ das heutige Lebensgefühl. Alles sofort zu besitzen und zu beherrschen, war auch schon die Versuchung, der sich Jesus in der Wüste gegenübersah. Der Verführungen sind viele. Das scheinbar so billige Schnäppchen, der rasche Konsum, die seichte Berieselung, das billige Vergnügen, der ultimative Kick, das krasse Event … – sie alle halten oft nicht, was sie versprechen. Statt der erhofften – und mitunter so bitter notwendigen – Erholung für Körper, Seele und Geist ereilen uns dann eher das böse Erwachen und der Kater am Morgen danach; wir fühlen uns nicht frisch und ausgeruht, sondern im Gegenteil müde und abgespannt.
Doch der hier spricht, läßt nicht locker. Er ruft uns auf, genauer hinzuhören. Wir sollen zu unterscheiden lernen und aktiv werden. Umkehr wird von uns gefordert, das Überdenken unserer bisherigen Gewohnheiten. Aus distanzierten Zuschauern sollen Teilnehmer werden, die sich auf den Weg machen und Partei ergreifen – so geschieht Veränderung, so kann neues Leben entstehen. Und es hätte auch diesen Gottesdienst niemals gegeben, wenn einzelne nicht aufgestanden und aktiv geworden wären. Ja, kritisch gegenüber dem Brot, das nicht satt macht und das leider auch in der Kirche allzu oft gereicht wird, sind viele. Doch dadurch verändert sich noch nichts. Kraft zur Umkehr entsteht erst aus der Sehnsucht, daß es noch ein anderes Brot geben muß – ein Brot, das gut und köstlich ist. –
An diese Sehnsucht appelliert auch Jesaja. Der Prophet, der hier so marktschreierisch auftritt, wendet sich an die Gewissen jener, denen sich die bittere Erfahrung des Babylonischen Exils und die Leiden der Verbannung tief eingebrannt haben. Größer hätte die Katastrophe für das Volk Israel nicht sein können: Land, König und Tempel waren verloren gegangen, die Oberschicht des Landes war nach Babylon verschleppt worden. Bei vielen war die Hoffnung, daß die Verheißungen an Israel noch eine Zukunft haben sollten, in den langen Jahren des Exils abgestorben; andere hatten sich mit den Dingen abgefunden und sich mit dem Leben in der Fremde arrangiert.
Doch Gott hat anderes vor mit seinem Volk. Gott ruft zur Umkehr, er schenkt Vergebung und ermöglicht einen neuen Anfang. Die Ströme Babels können noch so mächtig sein, all ihr Wasser reicht dennoch nicht aus, um den Durst der Menschen zu stillen. In dieser Situation muß die Einladung Gottes mitten ins Herz treffen: Die Verbannten und Gedemütigten sollen von neuem schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils. Das ist ein Trank, der den Durst wirklicht stillt. Gott gibt sich im Exil als der treue Gott zu erkennen, der zu seinen Worten steht. Seine Verheißungen, die an David und die Väter ergangen sind, sind längst nicht am Ende. Im Gegenteil: Gott will den Bund mit seinem Volk auf eine neue, eine unerschütterliche, eine ewige Grundlage stellen. Und das Volk im Exil erhält eine neue Rolle: Israel soll vor aller Welt der Gotteszeuge für diesen neuen Bund sein, zu dem alle Völker der Erde – auch die Heiden – eingeladen sind. Gott ist der Gastgeber, der die Völker zur Wallfahrt zum Zion ruft und zum himmlischen Gastmahl auf seinem Gottesberg einlädt.
Jesus hat das Bild der Mahlgemeinschaft in seiner Predigt vom Reich Gottes immer wieder aufgegriffen. Von keiner Zeichenhandlung Jesu wird in den Evangelien häufiger berichtet. Und ein Mahl ist es dann auch, was Jesus am Abend vor seinem Tod seinen Jüngern als sein Vermächtnis hinterläßt: „Wahrlich, ich sage euch, daß ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks, bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinke im Reiche Gottes.“ Es ist sehr zu bedauern, daß die Liturgie dieses Abschiedswort Jesu nicht bewahrt hat. – Jesus geht seinem Tod entgegen und hinterläßt seinen Jüngern ein unfaßbares Vermächtnis: In seinem Fleisch und Blut will er uns für alle Zeiten gegenwärtig bleiben. Durch die Eucharistie wird Jesu Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen immer wieder neu für uns Wirklichkeit. Indem wir Anteil erhalten am Kelch des Heiles, bietet Gott uns seinen Bund an und erhalten wir Anteil an den uralten Verheißungen, die an Israel ergangen sind.
Seit jenem Abend – damals am Vorabend des Paschafestes in Jerusalem – versammeln sich die Christen zum gemeinsamen Abendmahl. Das Brotbrechen ist das Zeichen, an dem wir uns gegenseitig als Christen erkennen können – über die Grenzen der Konfessionen und über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg. Wenn wir uns zum Abendmahl versammeln, finden wir nicht irgendetwas, auch nicht allein uns selbst. Ein Gottesdienst, der nur Event, Selbstdarstellung oder persönliche Nabelschau sein will, wäre Brot, das letztlich nicht satt machen kann. Wenn wir uns zum Abendmahl versammeln, erhalten wir vielmehr schon heute einen Vorgeschmack auf das himmlische Gastmahl, zu dem wir gerufen sind: ein Gastmahl, das so gut, köstlich und herrlich ist, daß es unseren Hunger und Durst wahrhaft stillen kann. Hier geschieht tiefe Versöhnung, hier kommt unser unruhiges Herz zur Ruhe.
Dieses Gastmahl können wir uns nicht verdienen oder erkaufen. Aber wir dürfen uns im Glauben dazu rufen lassen – auch an diesem Sonntag, in dieser Stunde: Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. – So kommt. Kostet und seht, wie gut der Herr ist! Oder mit dem Wochenspruch für diese Woche: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid – so spricht Christus; ich will euch erquicken. Amen.
Dankgebet nach dem Abendmahl:
Herr Jesus Christus, wir sind der Einladung zu deinem Mahl gefolgt, da wir mit den Augen des Herzens und den Ohren des Glaubens schon heute sehen und hören wollten, was du uns verheißen hast. Und wahrlich: Der Empfang deines Leibes und Blutes ist für uns schon hier auf Erden ein Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit im Reich deines Vaters. Wir danken dir für dieses große Geschenk deiner Liebe und bitten dich: Führe uns auf den Wegen des Heiles, damit wir das Ziel erreichen, zu dem deine große Barmherzigkeit uns führen will. Darum bitten wir dich, der du in Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und herrschest in alle Ewigkeit.
Amen