Predigt Juni 2011
Queergottesdienst am 19. Juni 2011
Predigt zum Thema: Jesus & Nikodemus, Johannes 3
Liebe Queergemeinde,
„Nicht verloren gehen! Du sollst nicht verloren gehen, sondern leben, und zwar auf ewig leben!“ – Das ist es, was Nikodemus als Letztes hört, was er unbedingt hören muss, er und auch wir queere Christinnen und Christen hier in der Johanniskirche. Das ist das Wichtigste, die absolute Topnachricht. Denn darauf kommt es an: Dass wir ewiges Leben finden! Dass wir zum Leben mit Gott finden: Hier auf dieser Erde – und später einmal in Gottes Reich.
Unser aller Herz, unser aller Seele ist unruhig, bis es Ruhe und Vollendung findet in Gott! Dadurch gewinnt der Tod eine ganz andere Dimension. Sterben ist nicht mehr das Schlimmste, was uns einmal widerfährt; nein schlimm ist es, wenn wir das ewige Leben nicht haben. Wirklich schlimm daran ist, wer nicht an Gott glaubt und wer sterben muss ohne die Hoffnung, bei Gott zu sein! Immer und allezeit.
Nikodemus kam, weil er Jesus kennenlernen wollte. Weil er neugierig geworden war. Und warum kommst Du zum Queergottesdienst? Was sind deine Beweggründe? Ich jedenfalls freue mich Teil unserer bunten, vielfältigen Queergemeinde zu sein. Hier kann ich auftanken – hier nehme ich ein queer ausgelegtes Bibelwort mit für meinen Alltag.
Nikodemus denkt zunächst eindimensional: Wie soll ich neu geboren werden? Ich kann doch nicht in den Mutterleib zurückkehren? Wie soll das geschehen? Jesus gibt ihm die Antwort anhand eines Beispieles: Der Wind bzw. der Heilige Geist weht wo er will; wir hören seine Stimme, aber wir wissen nicht woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist Gottes geboren wird.
Diese Antwort überrascht Nikodemus und er beginnt laut nachzudenken: Muss ich alles hinter mir lassen, was mein bisheriges Leben ausgemacht hat? Mich klein machen, die Karriereleiter wieder heruntersteigen? Muss ich womöglich Mönch werden oder Missionar? Auf gewohnten und liebgewonnenen Reichtum, Wohlstand und Komfort verzichten? Von morgens bis abends und auch nachts pausenlos beten? Darf ich mir nichts mehr gönnen – muss ich alles verschenken und an die Armen geben?
Was müssten wir alles tun, um einen Platz im Himmelreich sicher zu haben; um ewiges Leben zu finden und um nicht auf ewig in der Versenkung zu verschwinden?
Nichts antwortet der Rabbi aus Nazareth. Nichts müssen wir tun – gar nichts. Wir müssen vielmehr etwas geschehen lassen. Wir müssen uns nicht ändern – wir müssen uns ändern lassen. Wir müssen nichts tun – wir müssen Gott etwas tun lassen an uns! Keine neuen Aktivitäten entwickeln, keine Hochleistungen vollbringen, auch keine frommen Bußübungen und Selbstkasteiungen vollziehen. Nein, im Gegenteil! Lassen wir es geschehen. Lassen wir Gott anfangen in unserem Leben zu wirken. Stellen wir uns Gott zur Verfügung wie ein leeres Gefäß und rechnen damit, dass er es füllt. Lassen wir Gott in unserem Leben vorkommen; lassen wir ihm die Möglichkeit, sich einzumischen und uns zu einem neuen queeren Menschen zu machen!
Das Einzige, was uns wirklich helfen kann, ist: Glaube! Das Einzige, was wir wirklich brauchen, um nicht unterzugehen; um nicht auf ewig verloren zu gehen, ist Vertrauen! Ein Urvertrauen in Gott. Geborgenheit und einen Frieden, der höher ist als alle menschliche Vernunft. Heilsam ist es, wenn wir lernen mit Gott zu rechnen, mit seinen vielfältigen Möglichkeiten, mit seinem treuen Geleit, unter seiner Führung. Wenn wir ihn nur ernsthaft bitten: z. B. mit dem alten Kirchenlied: „Führe mich oh Herr und leite meinen Gang nach Deinem Wort!“ Wenn wir von ihm her alles Notwendige, alles Gute erwarten! – Wer denn sonst, wenn nicht Gott, kann uns all das geben, was wir wirklich brauchen.
Aber was benötigen wir wirklich? Was ist lebensnotwendig? Was wendet Not – so doch der eigentliche Wortstamm. Da geht Gottes Vorstellung und unsere, liebe Queergemeinde, oft diametral auseinander! Da ist es wohltuend und gut, wenn wir mit dem Vater Unser beten: „nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille“.
Übrigens – auch zum ewigen Leben gelangen wir nur durch eine Geburt, durch die Wiedergeburt von oben, durch die Neugeburt im Heiligen Geist. Für Gott ist auch heute „Geburtszeit“: Auch heute Abend, vielleicht gerade in diesem Augenblick sollen Menschen zum Glauben finden; im Glauben Stärkung erfahren, ja mehr noch Kraft schöpfen z. B. für ihr inneres und äußeres coming out.
Nikodemus, du bist doch wer, du hast es zu etwas gebracht., hast Karriere gemacht, hast wie man so sagt – alles erreicht, was man sich nur wünschen kann. Aber Nikodemus spürt in sich: Das reicht nicht- das kann es doch nicht gewesen sein – Meine Seele ist damit nicht zufrieden. Alles zu haben, alles zu besitzen, sich alles leisten zu können, das ist noch nicht genug. Das macht nicht satt – höchstens dick und fett.
Doch die Seele hungert und dürstet nach mehr, will anderes, will Gott! Das ist es, was Nikodemus in seinem Innersten spürt, was ihn suchen und fragen lässt und was ihn schließlich zu diesem Jesus treibt: Die Sehnsucht, von Neuem geboren zu werden; Wiedergeboren zu werden in der Kraft des Heiligen Geistes! Ganz neu aufzuleben, im Geiste Jesu Christi zu denken und zu handeln!
Das liebe Freundinnen und Freunde, wünsche ich uns allen von ganzem Herzen.
Amen