Predigt Januar 2012

Gottesdienst am 15.01.2012

Predigt zu Samuel 3, 1-10

 

Die Geschichte erzählt, wie Samuel lernt, die Stimme Gottes zu hören.

Die Stimme Gottes hören: das ist ein Unternehmen zwischen Anmassung und Demut. Und man wird nicht zwangsläufig besser darin, wenn man älter wird. Wir waren uns nicht sicher, ob wir diesen Predigttext nehmen sollen, die Geschichte geht für Eli fies aus, aber nun staune ich, an wie vielen Stellen man sich einhaken  kann...

Samuel ist „Azubi“ beim Hohepriester Eli, ein Knabe, vielleicht 12 Jahre alt. Er lebt bei Eli, weil seine Mutter ihn Gott geweiht hat, aus Dankbarkeit. Seine Mutter Hanna lebte sicher ganz in der Nähe, aber trotzdem „gehörte er da nicht mehr hin“, sondern zu Gott und zu diesem Priester, der schon ziemlich alt war.

Ich frage mich, ob er sich manchmal nicht ziemlich einsam gefühlt hat.

Eli, Samuels Bezugsperson, war eigentlich ein „gottesfürchtiger Mann“, aber seine Kraft und seine Sehfähigkeit hatten schon nachgelassen. Er war sehr dick geworden. Für das Volk nahm er seine priesterliche Rolle wahr, aber bei seinen Söhnen Hophi („hohle Hand“) Pinhas („Grossmaul) hatte er nicht viel zu sagen. Diese missbrauchten ihr kirchliches Amt und bereicherten sich, wie man kurz zuvor lesen kann, am Opferfleisch, das zum Tempelzelt gebracht wurde. Eli schaffte es einfach nicht, seine Söhne zum respektvollen Umgang mit Gott zu bewegen. Irgendwann gab er es auf und versuchte, nicht mehr hinzusehen.

Ich habe auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel, und ein paar Dinge kann ich inzwischen richtig gut. Aber es gibt andere Dinge, die ich scheinbar nie hinbekommen werde, wo ich immer wieder an meine Grenzen stosse.

Samuel, der Priester-Azubi, schläft im Tempelzelt der Israeliten, und zwar direkt neben der Bundeslade. Die Bundeslade ist das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes bei den Israeliten. Weiter hinten in der Bibel steht, dass nur einmal im Jahr der Hohepriester das Allerheiligste mit der Bundeslade betreten durfte. Ich weiß nicht, ob das bei Samuel auch schon so war. Aber jemand musste dieses Heiligtum ja vielleicht bewachen?

Wenn ich mich schlafen lege, versuche ich das auch zu tun: mich in der Gegenwart Gottes „einzukuscheln“. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Und nach sehr vollen Tagen beschleicht mich der seltsame Gedanke, dass ich die ganze Zeit über mit meinen Gedanken sonstwo war, und erst jetzt wieder an Gott denke, während er oder sie die ganze Zeit bei mir war.

Samuel schläft ganz nah bei Gott, sozusagen. Kann man sagen, dass er die Nähe Gottes gesucht hat? Ich weiss es nicht, in Vers 7 steht ja „Samuel hatte den Herrn noch nicht erkannt“. Vielleicht fand er es auch ein bisschen unheimlich. Aber Gott schert sich nicht darum, dass Samuel so jung ist und von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.

Es ist nicht wichtig, wir fromm und erfahren wir sind. Gott ruft, wenn Gott rufen will.

Samuel merkt nicht, dass es Gott ist, der ruft. Er rumpelt hoch, ruft zurück („Hier bin ich!“) und meldet sich bei seinem Dienstherrn. Dreimal geschieht das so. Beim ersten Mal „lief“ Samuel zu Eli. Beim zweiten Mal „ging“ er nur noch, also etwas langsamer. Ich kann mir vorstellen, dass Samuel spätestens beim dritten Mal ganz schön genervt ist. Vielleicht fühlt er sich sogar veräppelt von Eli. Vielleicht fühlt Eli sich auch veräppelt von seinem Azubi. Was passiert hier nur?

So kann es anfangen, wenn Gott einen ruft: Etwas passiert, und man reagiert in der gewohnten Weise darauf (wie Samuel, der zu seinem Chef läuft), aber irgend etwas passt nicht nicht daran. Die Sache wiederholt sich vielleicht, aber es wird nicht besser. Ein unruhiges Gefühl entsteht... Kennt ihr das auch?

Eli, der alte, erfahrene Hase in Sachen Gottes, dämmert schliesslich, dass Gott sich hier gerade zu Wort meldet, und gibt Samuel den entscheidenden Tipp.

Oft sind es andere, die den entscheidenden Anstoss geben: Eine Freundin, die mich versteht – oder vielleicht ein Freund, der gerade nicht versteht, warum ich mich an einer Stelle so aufrege. Jemand, der die richtige Frage stellt. Ein Fremder, der ein Wort spricht, das wie die Faust aufs Auge zu meiner Situation passt. Ein Bild, ein Film....

Eli ist alt, seine Kräfte lassen nach, aber in diesem nächtlichen Moment sieht er  ganz gut. Vielleicht erinnert er sich genau jetzt an vergangene Erlebnisse, wo er selbst gemerkt hat: Jetzt redet Gott. Dieser Blitz in Hirn und Herz, wo plötzlich etwas klar wird, was vorher nicht klar war. Ein Gedanke oder ein Gefühl, das ganz neu ist, und in dessen Licht die ganze Situation plötzlich anders aussieht.

Helmut hat bei der Vorbereitung so eine Geschichte erzählt: Es ging um einen Patienten – Helmut ist ja Altenpfleger – der war ziemlich unfreundlich, grantig und verbissen in seinem Leid. Bei ihm arbeiten zu müssen weckte bei Helmut und auch bei anderen Pflegern schon im Vorhinein ein mieses, verkrampftes Gefühl. Als Helmut sich über ihn beugte, kam ihm plötzlich der Gedanke: „Was wäre, wenn statt seiner jetzt du da lägest, Jesus?“ Der Gedanke war noch nicht fertig gedacht, auf einmal war ein inneres Lachen da! Der Mann hat ihm in diesem Moment tief in die Augen geschaut, ganz ruhig. Die Verkrampfung war weg, Freiheit war da.

Als Eli Samuel einmal beigebogen hat, in welche Richtung er sein inneres Ohr drehen muss, geht es Schlag auf Schlag. Und das, was Gott Samuel zu sagen hat, ist alles andere als angenehm: Weil Eli das respektlose Verhalten seiner Söhne Gott gegenüber hat durchgehen lassen – trotz voriger Ermahnung durch Gott – sollen er und seine Familie jetzt bestraft werden. Ohne Pardon: „Die Schuld des Hauses Eli soll nicht gesühnt werden, weder mit Schlachtopfern noch mit Speiseopfern immerdar.“ (V.14) Sehr alttestamentarisch.

Oh weia. Da erhält Samuel seinen „prophetischen Ritterschlag“, und dann so etwas. Das ist keine angenehme Prophezeiung, keine göttliche Botschaft an die Gemeinde – das Volk Israel – sondern eine volle Breitseite für seinen Dienstherrn und seine Bezugsperson, Eli.

An Schlaf war nun nicht mehr zu denken: „Samuel lag bis an den Morgen. Dann öffnete er die Türen am Hause des Herrn. Aber Samuel fürchtete sich, Eli zu berichten, was ihm offenbart worden war.“ Eli droht ihm sogar, bis Samuel endlich mit der Sprache herausrückt: „Gott tue dir dies und das, wenn du mir etwas verschweigst von all den Worten, die er dir gesagt hat.“ Da redet Samuel.

Ja, es können auch unangenehme Dinge sein, die Gott einem ans Herz legt. Es war im letzten Frühjahr – ich glaube, ich habe hier im GoDi bereits davon erzählt – dass ich eine kurze Beziehung hatte, sehr intensiv, aber leider auch sehr verknotet. An einem bestimmten Punkt haben wir uns immer wieder hochgeschaukelt, es war nichts zu machen. Wie Samuel, der dreimal „vergeblich“ zu Eli rennt. – Mit diesem Punkt bin ich dann zu einer Therapeutin gegangen. Es war eine ganz alte Sache, um die es ging, und in dieser alten Sache ist durch diese Verknotung ein ganz neuer Aspekt aufgetaucht: Ärger. Ich hatte gelernt, in bestimmten Situationen meinen Ärger gut zu verbergen, sogar vor mir selbst, und mich statt dessen wortreich und intellektuell selbst zu rechtfertigen. Das passte nicht, das führte immer wieder zu Verknotung! – Es war gut, dass ich mich noch mal aufgemacht habe. Seither habe ich schon einige Male geschafft zu merken, wenn ich mich ärgere, und diesen Ärger auch auszusprechen. Also eigentlich eine unangenehme Sache. Aber jedes Mal, wenn ich mich seither getraut habe den Ärger anzusprechen und auch zu zeigen, hat sich in dem Moment etwas entknotet!

Eli reagiert auf die unangenehme Offenbarung Samuels mit Grösse. Für Samuel ging es gut aus. Eli hätte schimpfen, toben, schreien können. Er hätte Samuel lächerlich machen können: „Du hast dich verhört. Das kommt davon, wenn so ein Jungspund sich einbildet, Gottes Stimme hören zu können. Das nehme ich dir übel!“

Eli reagiert aber nicht so. Er erkennt und respektiert Gottes Autorität, auch wenn sie aus dem Mund eines Kindes zu ihm spricht. Er sagt: „Es ist der Herr, er tue, was ihm wohlgefällt.“ Eli bleibt Gott verbunden. Das Schlimme trifft wirklich ein: Es kommt zu einer Schlacht zwischen Israel und den Philistern. Seine beiden Söhne fallen in dieser Schlacht. Eli erfährt davon – aber tot vom Stuhl fällt er erst, als er noch hört, dass die Feinde die Bundeslade, das Zeichen von Gottes Anwesenheit, geraubt haben.

Scheuen wir uns nicht, unangenehme Dinge auszusprechen. Bis zuletzt war Eli in Gottes Hand, und wir selber bleiben es auch. Und wenn wir selbst es sind, die unangenehme Dinge durchstehen müssen: Dass Gott bei uns ist, dass er uns immer wieder ruft und beisteht, bleibt auch in bösen Tagen wahr.

Marco hat in der Vorbereitung von einer schwierigen Zeit erzählt, die er hatte, als er umgezogen ist. Von Suhl kam er durch seinen Stellenwechsel nach Nürnberg und hat zunächst ein Jahr lang übergangsweise in einer möblierten Wohnung gelebt. Nun stand der Umzug in eine neue Wohnung an, Möbel waren herbeizuschaffen, Termine einzuhalten, und zusätzliche Probleme taten sich auf: In der Übergangswohnung war Schimmel. Wer ist dafür verantwortlich? Wer beseitigt den Schaden? Für Marco drehte sich das Karussell aus Sorgen, Befürchtungen und Ängsten: Schaffe ich das alles? Reichen die Kisten? Wer unterstützt mich? – Jemand von uns hat Marco in dieser Zeit dann geholfen, hat ihn mit in den Queergottesdienst geschleift, stand mit Tapeziertisch und tätiger Hilfe bereit. So schwierig diese Zeit für Marco auch war, sagt er, es ist ein gutes Gefühl, sich da durchgeboxt zu haben. Für die Zukunft ist in ihm eine feste Zuversicht entstanden, dass Gott ihn auch in Schwierigkeiten begleitet.

Auch für Samuel startet in der Geschichte eine Zukunft mit Gottes Stimme, die in begleitet. Es ist keine leichte Zukunft, und die Verantwortung wird manches Mal schwer zu tragen sein. Viele Kämpfe und innere Streitigkeiten wird es geben. Später wird er – gegen seine Überzeugung – dazu gedrängt werden, Saul als ersten König des Volkes Israel zu salben, was neuen Ärger gibt. Er wird Saul – auch wieder in Gottes Auftrag – seine Verwerfung ankündigen und David zum neuen König salben, aber er wird nicht mehr erleben, wie das Volk unter David neu erblüht. Samuels eigene Söhne werden Schwierigkeiten machen und sich bestechlich zeigen, ähnlich wie Elis Söhne.

Es wird also ein Leben mit Höhen und Tiefen werden für Samuel, und genauso für uns.

Samuel hört Gottes Stimme immer wieder, und das Volk akzeptiert ihn. Gottes Stimme selber hören und danach zu handeln, birgt weitaus mehr Gefahr, sich zu irren und Fehler zu machen, als wenn ein menschlicher Chef oder Hohepriester die Verantwortung für unser Handeln trägt.

Wenn wir mit Gott leben, seine Nähe suchen, zu ihm stehen, werden manche das mitbekommen und respektieren. Andere werden uns belächeln, vieles wird uns das Leben schwer machen. Aber wenn wir nicht mehr weiterkommen mit unseren gewohnten Handlungsmustern, wenn wir dreimal (oder öfter) gegen die selbe Wand rennen, können wir innehalten und fragen: Chefin, liebster Gott, ja bitte? Was ist los? Rede, dein Knecht hört: Wohin soll ich mein Ohr richten? Worauf soll ich schauen? Worum geht es hier? Und Gott, der uns ruft, und Gott, die uns niemals alleine lässt, wird antworten – so oder so oder so.

Amen.