Predigt Oktober 2014
Queergottesdienst am 19.10.2014, St. Johanniskirche Nürnberg
Lesungstext Matthäus 6, 19-21
Liebe Queergemeinde
wir queere Menschen, und besonders wir Schwule, sind leidenschaftliche Sammler. Ich behaupte: jede/r von uns pflegt irgendeine Sammelleidenschaft. Mein Partner und ich, wir haben ca. 1500 Schallplatten. Sind das genug? Nein! Die nächsten 2 sind bereits bestellt, und wenn wir an einem Geschäft vorbeikommen, wo es Schallplatten zu kaufen gibt, gehen wir mit Sicherheit nicht eher raus, als daß wir nicht mindestens 2 schöne Schallplatten erworben haben. Und jede einzelne davon wird wertgeschätzt als absolutes must-have! Dann gibt es bestimmte Lieblingsinterpreten, von denen man unbedingt das komplette veröffentlichte Material haben muß. Dann hat man die Scheibe, und zu hause steht sie dann im Regal. Und da sind wir schon an eine Grenze angelangt: Schallplatten brauchen Platz, und wenn es schon mal an die 2 000 Exemplare hinreicht, braucht man dafür ein extra Regal, und dieses Regal steht natürlich in einen extra dafür vorgesehenen Raum. Ein Freund von mir geht da noch weiter: er ist da schon wesentlich moderner. Er digitalisiert sich seine komplette Musiksammlung bzw. greift darauf auf i-tunes zurück, und seine raumfüllenden Tonträger verkauft er auf dem Flohmarkt. Eigentlich ganz schlau, denn so hat er die Möglichkeit, Millionen von Musiktiteln griff- bzw. hörbereit zu haben, und er muß sich dafür nicht einmal ein teures Regal anfertigen lassen. Und er hat in seiner Wohnung endlich Platz für richtige Möbel. Eigentlich alles ganz praktisch, oder? Die Sammelleidenschaft läßt sich beliebig erweitern auf andere Objekte, wie z.B. Porzellan, Münzen (wie so eben im Anspiel), Tierfiguren, Bierdeckel, oder vieles andere mehr. Wie viele von Euch wissen: ich arbeite im Behindertenbereich, und da habe ich es mit vielen Menschen mit dem "Down Syndrom" zu tun. Menschen mit Down Syndrom sind die akribischsten und leidenschaftlichsten Sammlernaturen, die ich kenne. Beliebte Sammelobjekte sind hier Zeitschriften, Prospekte, Kugelschreiber, und zu deren Leidwesen auch manches mal Lebensmittel. Ich frage mich manchmal selber, mit welcher Legitimation ich als ein Mensch mit fast 2000 Schallplatten einem unserer Heimbewohner dazu hinführen soll, seinen Stapel mit geschätzten 200 alten Fernsehzeitungen abzubauen? Also: das Sammeln steckt in uns Menschen drin, und Menschen mit Down Syndrom haben sich besonders darauf spezialisiert.
Da ja, wie Eingangs bereits erwähnt, wir Schwule gerne irgendetwas sammeln, habe ich auch schon die Beobachtung gemacht, daß das Sammeln sich neuerdings auch ausdehnt auf Menschen. Es gibt Möglichkeiten, Menschen um sich herum zu sammeln, und zwar besonders beliebt, auf sozialen Netzwerken und Internet-Kontaktbörsen. Hier gilt es, möglichst viele "Freunde" auf seinem Profil vorweisen zu können, denn das steigert die eigene Wertigkeit. Klar: wer viele Freunde hat, ist auch irgendwie ein attraktiverer und freundlicherer Mensch. Und was macht man dann mit den vielen Freunden? Man schickt Fotos, Lebensberichte, und manche von ihnen trifft man sogar ganz in echt. Und dann ist man ein glücklicherer Mensch. Oder lebt endlich seine eigentliche Bestimmung.
Was steht denn darüber in unserem Evangeliumstext? Jesus ermahnt, das Ansammeln von irdischen Schätzen einzustellen. Und erweist außerdem darauf hin, daß an den Schätzen das Herz hängt. Und man solle doch lieber Schätze im Himmel ansammeln. Aber, typisch Jesus: er übt heftige Kritik am Verhalten der Menschen, gibt dazu ein paar allgemein gehaltene Anweisungen, hält sich aber mit konkreten Tips und Hilfestellungen vornehm zurück. Also, auch hier: genau hinschauen, selber nachdenken, und schließlich draufkommen, was er genau gemeint hat, und was man jetzt eigentlich machen soll. Weder beschreibt er, woraus ein sogenannter Schatz im Himmel denn nun eigentlich besteht, noch, wie man diesen erreichen kann, und auch nicht, wie man so einen Schatz auch noch sammelt. Und was fällt mir jetzt dazu ein, da ja im Evangelium nichts dazu drinsteht? Also, zunächst einmal beruhige ich mich damit, daß die irdischen Schätze per se nichts Verwerfliches sind. Verwerflich scheint nur zu sein, wenn ich mein Herz daran hänge und darüber hinaus die himmlischen Schätze ganz vergesse. Also: da wir ja alle schließlich normale Menschen und keine Propheten sind, behalten wir erst mal unsere Schallplatten-, Porzellan- oder Münzsammlungen und denken aber gleichzeitig daran, daß wir auch besondere Gaben geschenkt bekommen haben, die mit einem besonderen Auftrag verbunden sind. Manch einer von uns hat vielleicht ein künstlerisches Gespür: er soll etwas daraus machen. Oder ein anderer hat die besondere Gabe, in technische Tiefen einzutauchen: warum sollte er nicht Freunden und Bekannten bei technischen Problemen helfen? Liebe Queergemeinde: ich glaube, jeder von uns hat nicht nur eine Sammelleidenschaft, sondern ebenso auch ein besonderes Charisma. Und dieses zu pflegen, läßt uns doch schon einen kleinen Schatz im Himmel ansammeln.
Amen.