Predigt Januar 2016

Queergottesdienst am 17.01.2016 St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zur Jahreslosung 2016

Gott spricht: „Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes. 66, 13)

Liebe Queergemeinde,

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Diese Jahreslosung enthält ein wirklich starkes Bild und ruft Erinnerungen an die eigene Kindheit wach. Wie war das als wir von unserer eigenen Mutter getröstet wurden? Irgendwann einmal ist ein jeder von uns mit einem aufgeschürften Knie heulend zur Mama gerannt und wir wurden in den Arm genommen, einfach liebgehabt. Im Anschluss wurde die Verletzung begutachtet:

„Schau mal, das ist doch gar nicht so schlimm. Komm ich hole ein Pflaster, dann wird das wieder gut“.

Erstaunlich wie einfach und wirkungsvoll wir damals getröstet wurden. Wie eine Mutter es im Gespür hat, dass jetzt nicht zu allererst das Fläschchen Jod oder die Arnikaglobuli notwendig sind, sondern dass wir jemanden brauchen der uns in den Arm nimmt und tröstet. Der unser furchterregendes Geheule aushält, der abwartet bis das ungebremste Weinen in ein Schluchzen übergeht und dann den Moment erahnt, wann es Zeit ist, einen Blick auf die eigentliche Verletzung zu werfen und diese mit einem Pflaster zu versorgen.

Später im jugendlichen Alter, wenn Mütter nicht mehr mit aufgeschürften Knien, sondern mit verletzten oder verängstigten Seelen oder verwirrten Teenager-Egos zu tun haben, habe ich oft eine ähnliche Haltung erlebt:

Erst einmal „in den Arm nehmen“. Buchstäblich oder mit Worten. Den Jammer, die Wut, die Angst wahrnehmen und dann schauen was nötig ist, um weiterzuhelfen und zu beruhigen – das heißt: zu trösten. Manchmal war ich überrascht über die scheinbare Einfachheit, mit der meine Mutter meinen Jammer regelrecht weggepustet hat, wenn ich als Jugendlicher immer mal wieder die Krise hatte, weil ich mich überfordert gefühlt habe. „Du packst das schon. Ich denke an dich, ich bete für dich“ – das war damals nicht mehr so ganz das, was ich aus meiner Kindheit kannte. Aber im Nachhinein muss ich erkennen: Sie hatte recht, ich habe es locker geschafft- und inwieweit das meine Leistung oder das Ergebnis von Mamas Gebet war – das wird Gottes Geheimnis bleiben. Und das ist auch gut so!

Nicht umsonst wird schwulen Männern eine besondere Nähe, ja Affinität, zu ihrer Mutter nachgesagt. Ich für meine Person kann das voll und ganz bestätigen. Gerade in der Zeit des „Comming outs“.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Als Kind und Jugendlicher war es die Mutter - und später?  Heute sind es andere Menschen, die uns nahe stehen, die in schlechten Zeiten an unserer Seite bleiben und uns so innere Ruhe und Standfestigkeit vermitteln.

Martin Luther hat einmal gesagt „Erdenk´ dir einen guten Freund, so hast du ein Bild, wie sich Gott dir in Christus darbietet“. Freundschaft als wahres und hohes Gut. Die Älteren unter uns kennen vielleicht das Volkslied „Wahre Freundschaft darf nicht wanken…“, oder die Comedian Harmonists „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das beste, was gibt auf der Welt!“ Die Rockgruppe Queen hat es mit „Friends will be friends“ besungen.

In unser Queergemeinde existiert der Begriff der „Wahlverwandschaft“. Das heißt ich erkläre meine besten Freunde zu meinen „Verwandten“ – quasi zu meinem eigenen Fleisch und Blut. Mir fällt spontan das Bild von den Blutsbrüdern Winnetou und Old Shatterhand ein. Freunde stehen für einander ein, halten zusammen und gehen gemeinsam durch dick und dünn.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Ich entdecke, wie wir uns auch von Gott trösten lassen können. Wie auch er diese Rolle der tröstenden Mutter des guten Freundes, der lieben Freundin in unserem Leben spielt. Ein Gott zu dem wir stürmen können, wenn alles nur noch schlimm und schrecklich ist. Ein Gott regelrecht zum Ausheulen. Einer dem wir unsere Angst, Verzweiflung oder Wut erzählen können. Wie gut, dass wir mit Gott so offen im Gebet reden dürfen.

Und viele Menschen können davon berichten, wie aus diesem vertrauten Gespräch mit Gott eine Atmosphäre der Geborgenheit entsteht. Das persönliche Gebet eines jeden einzelnen von uns als Ort, an dem wir Gottes Nähe spüren, geborgen und getröstet sind.

Und so manches Gebet endet dann auch mit dem Gefühl, das diesem „du packst das schon“ aus meiner Jugendzeit ähnelt. Dass wir mit mehr Selbstvertrauen aus dem Gebet herausgehen, als wir hineingegangen sind. Schließlich haben wir mit unserem Schöpfer gesprochen, der uns besser kennt, als wir uns selbst.

Gott spricht: Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Wenn wir die Jahreslosung isoliert betrachten, also nur diese eine Aussage, dann kann dieser Satz leicht missverstanden werden. In welchem Zusammenhang steht die Jahreslosung im Buch des Propheten Jesaja

Die Stadt Jerusalem war auch 80 Jahre nach ihrer Eroberung immer noch ein Trümmerfeld. Die Zerstörungen durch die Babylonier waren gegenwärtig und immer noch zu sehen. Und jetzt kamen die Nachkommen der einst verschleppten Bewohner Jerusalems in die alte Heimat zurück. Da gab es Elend und Spannungen. Die Rückkehrer, die im Ausland geboren worden waren, hofften auf eine Zukunft im Land ihrer Eltern und Großeltern. Sie kamen mit großen Erwartungen. Und da trafen sie auf Bewohner, die sie sehr kühl und zurückhaltend empfingen, die sich um ihren Besitzstand sorgten. „Die kommen da mit nichts, und setzen sich hierhin und erwarten, dass wir ihnen helfen? Wir sind doch selber im tagtäglichen Kampf ums tägliche Brot“!

Was für ein sozialer Sprengstoff und welche Parallelen zu unser heutigen Zeit!

Und in diese Situation der Unsicherheit, der Verzweiflung und der gegenseitigen Feindseligkeit hinein, kommt die Verheißung Gottes, die der Prophet Jesaja weitergibt:

Freut euch über eure Stadt! Seid froh, dass ihr sie habt! Sie wird euch ernähren, wie eine Mutter.

Durch ihre Straßen wird Gerechtigkeit fließen wie ein breiter Strom und der Wohlstand wird kommen, wie ein über die Ufer tretender Bach. Euer Herz wird froh werden und eure müden Knochen werden neue Kraft bekommen. Ihr als Kinder dieser Stadt werdet wie auf Armen getragen, ihr erhaltet liebevolle Zuwendung. Denn: Gott wird euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Liebe Queergemeinde, ihr seht es geht um mehr als ein bisschen „heile heile Segen“ und Gefühlsduselei. Gott der tröstet, wie eine Mutter - ist eben auch wie eine Mutter, ohne die wir gar nicht am Leben wären, ohne die wir schon in den ersten Lebenstagen verhungert wären. Und dieser mütterliche, fürsorgliche Gott wird auch für Gerechtigkeit sorgen und uns geben, was wir zum Leben brauchen.

Gott, als die Mutter, die loszieht um für uns einzutreten, wo unsere Möglichkeiten zu begrenzt sind und unsere Kraft zu klein ist. Eine Mutter, der wir nicht nur unsere Sorgen anvertrauen können, sondern der wir auch vertrauen können, dass sie kann, was wir nicht vermögen. Auch eine Mutter, die zu uns sagt: „Kommt habt keine Angst vor der ungewissen Zukunft, vor dem neuen Jahr mit all seinen Schwierigkeiten und Herausforderungen. Habt Mut, wir packen das! Ich kenne euch ja schon lange genug. Schließlich bin ich doch eure Mutter“!

Liebe Freundinnen und Freunde, da sind wir doch gerne Kinder Gottes. Wenn der den wir himmlischen Vater nennen, so eine fürsorgliche und kraftvolle Mutter sein kann.

Amen

Und der Friede Gottes, der größer und höher ist, als all unsere Vernunft und unser menschliches Denken, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.