Predigt September 2005

Queergottesdienst am Sonntag, den 18. September
in der St. Johanniskirche in Nürnberg

Predigt zum Einzug der Queergottesdienstgemeinschaft in die St. Johanniskirche

Predigttext: Psalm 84
Predigt von Bernd Held

Wir waren als Queergottesdienstgemeinschaft für länger als ein Jahr ohne festen Versammlungsort. Unsere kleine Wanderschaft ging von der Heilig- Geist- Kapelle über St. Martha nach St. Jobst und nach dem CSD-Gottesdienst in St. Jakob, nun nach St. Johannis. Die Fragen "Wo ist der nächste Gottesdienst?", "Wie lange bleiben wir hier?" und auch die Gottesdienstbesucher/innen, die uns nicht mehr gefunden haben, machen deutlich, wie wichtig ein fester Ort auch für eine Gottesdienstgemeinschaft ist.

Ich freue mich sehr und ich bin dankbar, dass wir in der schönen St. Johanniskirche Aufnahme und für unsere Gottesdienste wieder ein Zuhause gefunden haben! Normalerweise bringen Gäste ein Gastgeschenk mit, aber was könnte das in unserem Fall sein?

Ich habe überlegt, und ich bin dann bei einer Hoffnung, einem Traum oder einem Wunsch hängen geblieben, wozu wir alle beitragen und daran mitgestalten können.

Es wäre wunderschön, wenn die Gemeinde in St. Johannis unsere Gottesdienste und die Spiritualität, die wir hier in dieser Kirche leben und ausdrücken können, und die Begegnungen, die untereinander möglich werden, selbst als eine Art Geschenk und als Bereicherung erfahren. Lasst uns alle daran mitarbeiten!

In unserem Bibeltext spricht ein Mensch voller Begeisterung von Gott und dem Haus Gottes.

Es hört sich beinahe schon so an, als habe der Beter oder die Beterin selbst in Gottes Haus ein Zuhause gefunden, und als sei es die wichtigste Wahl, die es zu bekennen und zu gewinnen gibt, die hält und im Leben trägt, was immer passiert, dass er oder sie sich zu diesem Gott halten will.

Wer kann so von Gott sprechen und wer hat die Gewissheit, wo Gott wohnt und wo er zu finden und zu erfahren ist?

Der Psalmtext ist ein Pilgerlied. Die gläubigen Juden haben ihn gesungen, wenn sie sich aufgemacht haben auf dem Weg zum Zion. Dreimal im Jahr sind sie nach Jerusalem aufgebrochen und haben dort Feste gefeiert und erlebt,

dass der wahre Gott sich zu erkennen gibt und unter ihnen erlebbar ist.

Dort erleben sie in der Nähe Gottes und in seinem Tempel, dass das Leben trotz des Alltags und trotz der Mühen, trotz ihrer langen Reisen und Gottsuche zur Erfüllung kommt.

Weil sie sich in Gott beheimatet fühlen, dem Ursprung und dem Ziel des Lebens, kann ihr Leben gelingen.

Wo sind wir, wo sind Schwule und Lesben, wo sind Queers innerlich zuhause? In der Szene oder in der Wahlfamilie? In der Kirchengemeinde?

Viele haben sich auf die Gottsuche gemacht und erlebt, dass ihnen in der Kirche keine Heimat gewährt wird. Für viele ist die Kirche nicht mehr ein Ort der Gotteserfahrung. Manche haben auch ihr Zuhause im Glauben verloren.

 

Wir modernen Menschen sind uns oft nicht sicher, dass wir da sind, weil jemand uns liebt und uns ins Leben ruft. Manchmal sind wir unsicher, ob es Gott gibt, und wenn, ob er überhaupt für uns erfahrbar ist.

Doch der "Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest", und diese fröhlichen Kreaturen im Psalmtext sind so frei: sie nisten sich gleich vorne bei Gottes Altar ein!

Sie gehören zu Gott! Sie sind seine Geschöpfe und sie suchen seine Nähe!

Das reicht ihnen als Legitimation, sich gleich ganz vorne einzumischen. Gegen dieses Selbstverständnis sind auch der Tempelreiniger und sein Besen ohnmächtig, die bunten Vögel kommen immer wieder: Und bei Gott sind sie willkommen.

Ich möchte diese Botschaft für uns gerne so übertragen, dass auch die Schwulen und Lesben und die Transgender bei ihm nicht zwischen den Stühlen sitzen. Wir sind bei ihm eingeladen, unsere Plätze einzunehmen!

Wir Menschen müssen unsere Lebensfragen auch nicht vorab schon sicher beantworten können. Es reicht, bei allen Zweifeln oder Unsicherheiten, dass wir diese Suche nach dem Leben in uns spüren und dass wir seine Nähe suchen! So nimmt er uns auf!

Der Pilgerweg ist natürlich ein gutes Bild von unseren Lebenswegen. Zur Pilger- wie auch zur Lebensreise gehören Strapazen und Pannen, die Durststrecken, wenn der Weg lang wird und schwer.

Die Gottsucher im Psalmtext sind unterwegs zum Zion und nach Jerusalem, wo sie den wahren Gott schauen möchten. Dabei kennen sie durchaus das dürre Tal. Vielleicht müssen auch wir mit unseren kindlichen Gottesvorstellungen aufräumen, die eher einem unmündigen Wunsch nach Symbiose und Verschmelzung, der Identifikation mit dem Allmächtigen und Übergroßen entspringen. Der Pilgerweg vollzieht sich nicht permanent auf dem Mountain top.

Ich erinnere mich an einen Ausspruch von Reinhold Messner in einem Fernsehinterview, der so platt wie wahr ist: "Der Weg von einem Gipfel zum anderen führt immer durch das Tal." Die Pilger müssen die Kraft zum Weitergehen immer wieder neu erschließen. Die Begeisterung und die Leichtigkeit und der Glauben, das Vertrauen in den Weg sind nicht immer da.

Aber die Pilger gehen mit den Erfahrungen ihres Lebens, die sie im Lichte ihrer Gotteserwartung deuten und annehmen können. Sie erinnern sich und erzählen, was sie im Leben trägt und was sie immer wieder motiviert, was sie wortwörtlich am Laufen hält. So gehen sie, wie von einer Kraft zu anderen.

Sie gehen im Vertrauen darauf, dass ihre Hoffnungen und ihr Glauben sich dort auf dem Zion erfüllen werden und ihnen nichts Gutes mangeln wird.

Im Kontrast zur Durststrecke wird die Solidarität der Weggemeinschaft und die Vorfreude auf das Fest in Jerusalem zu einer Quelle, wo sie auftanken können und die schon unterwegs die Gotteserfahrung birgt. So können auch wir uns aufmachen auf unsere Wege und auf  unsere Gottsuche, weil es Orte und Gottesdienste wie diese hier gibt und Begegnungen, wo wir uns erinnern und einander erzählen und den Mut und den Glauben wieder neu fassen können. Wir können immer wieder die Zuversicht für unser Herz suchen, dass Gott uns auch in den Spannungsfeldern unseres Lebens nichts Gutes mangeln lässt.

So schön wie die Kirche hier ist und viele andere Gottesdiensträume sind, in welchen wir schon waren, es sind wohl nicht zuerst die Bauwerke oder die Kunst, welche den Raum der Gotteserfahrung kennzeichnen.

Gottes Haus erlebe ich da, wo Menschen aufeinander zugehen und beginnen solidarisch miteinander zu leben und füreinander einzustehen. Gottes Haus ereignet sich sozusagen in diesen Begegnungen. Jesus formulierte das einmal so: "Wo zwei oder drei in meinem Namen, (also in seinem Geist oder in seinem Sinn) zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen."

Gottes Haus erlebe ich da, wo Menschen das Leben feiern. So, wie bei den Festen damals in Jerusalem oder wie hier bei der Johanniskirchweih mit dem Wedelfisch unter den Bäumen auf der Johannisstraße und bei der d- night mit dem fliederlich- Verein in der Desi.

Ich bin überzeugt davon: Gottsucher dürfen das Leben feiern, einfach so, ohne besonderen Anlass. Gottsucher dürfen feiern, weil sie das Leben als ein Geschenk erfahren. Wir können das Leben feiern, als ein Bekenntnis, dass Gott gut ist und wir uns zu ihm halten wollen.

Wir feiern das Leben, wo wir erfahren, dass Gott uns an seinen Tisch zu seinem Mahl einlädt; wir reichen die Hände als ein Bild der Versöhnung und der Gemeinschaft, zum Friedensgruß, weil mit Jesus eine neue Lebensqualität beginnt.

 

 

Gottes Haus erlebe ich dort, wo ich still werden kann,

wo ich in mir still werde und alles Aufgeregte und Laute loslassen kann. Das sind Momente, wo ich erfahre, dass ich in der Tiefe meiner Existenz angesprochen werde. Das ist so, wie wenn Gott selbst sich mir zuwendet. Gottes Wort und seine Liebe gehen in mir auf, vielleicht wie in dem Lied:

"Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte,
Herr, berühren, mein Gesichte.
Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten,
lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen."

Ich bin am Ende der Predigt, aber eigentlich bin ich damit wieder beim Anfang angekommen. Die Gemeinde in St. Johannis teilt mit uns und stellt uns diese schöne Kirche zur Verfügung. Hier ist ein Gottes Haus. Aber dass wir es auch als ein Gottes Haus erfahren und dass Gott unter uns lebendig wird, daran sind wir alle, jede und jeder immer wieder neu beteiligt.

Kommt, lasst uns Menschen sein, die mit ihrem aufrichtigen Bedürfnissen und mit Engagement und Offenheit aufeinander zugehen und Gott feiern!

Amen