Predigt Mai 2006
Queergottesdienst am Sonntag, den 21. Mai 2006
Predigttext:
Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar! Betet auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können, für das ich im Gefängnis bin; betet, dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist. Seid weise im Umgang mit den Außenstehenden, nutzt die Zeit! Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt; denn ihr müsst jedem in der rechten Weise antworten können.
(Kolosser 4, 2 – 6)
Predigt:
Meine lieben Schwestern und Brüder,
liebe Queergemeinde!
Wir haben heute zwei Abschnitte aus dem Brief an die Gemeinde in Kolossä gehört, einer Stadt im Westen Kleinasiens, also auf dem Gebiet der heutigen Türkei: zu Beginn unseres Gottesdienstes und jetzt als Predigttext. Der Brief wird allgemein dem älteren Paulus in der Gefangenschaft in Cäsarea oder Rom zugeschrieben, vielleicht aber auch – hier ist sich die Forschung nicht einig – einem seiner Schüler. Auf jeden Fall war die Gemeinde dem Paulus nicht persönlich bekannt. Der Christusglaube war durch Epaphras, einen Mitarbeiter des Paulus, nach Kolossä gelangt.
Seitdem ist einige Zeit vergangen. Die Begeisterung des Anfangs, die Freude über die neue Glaubensgewissheit, der Zusammenhalt in der neuen Gemeinde haben nachgelassen. Daher schreibt Paulus – vielleicht auch ein anderer Verfasser – einen Mahnbrief an die Christen in Kolossä. Unmittelbarer Anlass ist eine Spaltung in der Gemeinde: Ein Teil der Gemeinde hat den Christusglauben in reiner Form aufgegeben. Schicksals- und Dämonenglauben sowie eine Verehrung der Gestirne sind in die Gemeinde eingedrungen, ohne aber den Glauben an Christus vollkommen zu verdrängen.
Die Entschiedenheit für den neuen Glauben hat jedenfalls Risse bekommen. Warum es zu diesem Synkretismus, dieser Vermischung verschiedener Glaubensvorstellungen und Bekenntnisse gekommen ist, können wir nur vermuten. Vielleicht hat ein schweres Unheil – einige sprechen von einem Erdbeben –, das über die Stadt hereingebrochen war, dazu geführt, im neuen Glauben schnell wieder unsicher zu werden und diesen durch Elemente heidnischer Glaubenspraxis anzureichern.
Vereinbar ist dies mit der apostolischen Lehre, wie sie Epaphras zu Beginn in Kolossä verkündet hat, nicht. Daran lässt der Verfasser des Briefes keinen Zweifel.
Das Ziel, das er mit seinem Brief verfolgt, kann in einem Anliegen zusammengefasst werden, das dem Brief durch die Geschichte seine zentrale innerkirchliche Bedeutung gegeben hat: in dem Anliegen, die Gemeinde in Kolossä wieder zum Kern des Evangeliums zurückzuführen, zum eindeutigen und unverfälschten Bekenntnis zu Jesus, dem Christus:
- Wir danken Gott, dem Vater Jesu Christi, unseres Herrn, allezeit, wenn wir für euch beten, da wir gehört haben von eurem Glauben an Christus Jesus und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, um der Hoffnung willen, die für euch bereit ist im Himmel.
- Der Glaube an Gestirne oder Dämonen mag als Versuchung uns heute weit entfernt erscheinen. Die Versuchung aber, den Kern unseres christlichen Glaubens aus dem Blick zu verlieren, ist für die Kirche in ihrer Predigt und in ihrem Handeln zu allen Zeiten aktuell geblieben.
Es gibt unzählige Themen, über die es mitunter leicht fällt zu sprechen, als über den entscheidenden Grund und die Hoffnung unseres Glaubens: Dies können kirchenpolitische Streitfragen oder klassische Sakristeithemen sein, die Verteidigung der eigenen kirchlichen Deutungshoheit und Machtposition, die Planung des nächsten Gemeindefestes oder die Änderung der Gottesdienstzeiten, das ungebügelte Beffchen des Herrn Pfarrers oder die falsche Liedauswahl an Weihnachten oder, oder, oder.
Beliebt – so scheint es – ist auch der Blick durch das Schlüsselloch der Schlafzimmertür. Wer verfolgt, wie vehement in der Kirche bestimmte Themen der Sexualmoral verfochten werden, bekommt mitunter den Eindruck, der romantisierende Kult um Ehe und Familie seien der eigentliche Inhalt des christlichen Glaubensbekenntnisses – der Zeitungsbericht über die Auseinandersetzungen um den Augsburger CSD-Gottesdienst hat wieder einmal einen kleinen Eindruck davon vermittelt.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Selbstverständlich muss eine christliche Gemeinde auch organisatorische Fragen klären. Und auch unser Queergottesdienst wäre ohne Planungsabsprachen, wer den Schlüssel besorgt, das anschließende Beisammensein vorbereitet oder den Altar herrichtet, nicht möglich. Doch dies alles hat nur dienenden Charakter.
Entscheidend ist und bleibt etwas anderes: der Glaube an Jesus Christus, die Liebe zu unseren Schwestern und Brüdern und die Hoffnung auf die Erfüllung unseres Glaubens in der Ewigkeit Gottes. Dies gilt für die Gemeinde von Kolossä damals genauso wie für uns heute.
Vor zwei Monaten haben wir an dieser Stelle fünf Jahre Queergottesdienst in Nürnberg gefeiert. Denen, die damals dabei waren, ist die Jubiläumsfeier sicher noch in guter Erinnerung. Ein Jahr Probezeit hatten wir uns damals am Anfang gegeben, doch die Sorge war unbegründet. Der Queergottesdienst wurde angenommen und hat im schwul-lesbischen Leben dieser Stadt Wurzeln geschlagen, wie uns im Jubiläumsgottesdienst bildhaft vor Augen geführt wurde.
Es ist gut und richtig für diese Zeit dankbar zu sein. Dabei geht es nicht um den Stolz über ein gut geplantes Event oder eine originelle Veranstaltungsidee, die auch nach fünf Jahren immer noch gefragt ist – aber im Letzten auch austauschbar wäre.
Denn im Gottesdienst feiern wir uns nicht selber, sondern einen anderen: Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Den Queergottesdienst gibt es, weil schwule Christen und lesbische Christinnen selbstbewusst aufgetreten sind, ihre eigenständigen Glaubenserfahrungen zur Sprache bringen und deutlich machen wollten, dass auch sie zur Gemeinschaft der Heiligen gehören, wie Paulus die christliche Gemeinde bezeichnet. Dies kann zu Recht in einem Jubiläum gefeiert werden, und dafür gilt es dankbar zu sein, so wie auch der Verfasser des Briefes dankbar ist für das Wirken und das Glaubenszeugnis der Gemeinde in Kolossä.
Gleichwohl müssen auch wir uns als Queergemeinde immer wieder prüfen, ob unsere Botschaft und unsere Feier den entscheidenden Kern unseres Glaubens in den Mittelpunkt stellt. Dabei muss nicht gleich an Irrlehren gedacht werden. Aber die Gefahr, eine bestimmte Lebensweise oder einen bestimmten Lebensstil, eigene Moralvorstellungen oder Kirchenbilder, Themen aus der eigenen Community oder dem schwul-lesbischen Lebenskontext, vielleicht auch die eigene sexuelle Orientierung als solche einseitig zu betonen und in den Mittelpunkt zu rücken, besteht durchaus auch für die christliche Gay-Community.
Dankbarkeit und Wachsamkeit: Beides gehört für den Verfasser des Kolosserbriefes zusammen. Dankbar zu sein, für das Geschenk des Glaubens und die Früchte des Glaubens; wachsam zu sein gegenüber den Gefahren, den entscheidenden Inhalt dieses Glaubens aus dem Blick zu verlieren.
Wenn eine christliche Gemeinde dies im Blick behält, wird sie auch anziehend für andere sein und wird Gott ihr eine Tür für ihre Predigt und ihre Botschaft öffnen. Die Gaben hierzu haben wir in der Taufe empfangen. Bewahren können wir sie – das macht der Briefschreiber gegenüber den Kolossern deutlich – durch das beständige und beharrliche Gebet.
Als christliche Gemeinde müssen und können wir unseren Erfolg nicht gleichsam selbst schaffen, wir dürfen unser Tun und Hoffen, unser Sorgen und unsere Dankbarkeit, unser Gelingen und unser Scheitern vor Gott tragen.
Im Beten drückt sich darüber hinaus eine gegenseitige Solidarität all derer aus, die sich in der Nachfolge Jesu als Christen miteinander verbunden fühlen – so wie der Verfasser des Kolosserbriefes die ihm persönlich unbekannte Gemeinde bittet, für ihn zu beten – zu beten, wie es wörtlich heißt,
- damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können, […] dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist.
- Das Gebet ist nicht einfach ein Instrument der Seelsorge, auch wenn die Pressestellungnahme des Augsburger Generalvikars vielleicht den Eindruck erweckt, als wäre das Gebet für verstorbene Aidspatienten schon ein entscheidender Beitrag für die kirchliche Seelsorge an Homosexuellen. Das Gebet ist Antwort des Glaubenden auf die Liebe, mit der Gott uns zuerst angesprochen hat, mit der er uns als seine geliebten Kinder angenommen hat. Auch in dieser Stunde tritt Gott uns wieder entgegen und lädt uns ein, Platz zu nehmen am Tisch seines Sohnes.
Doch sollen wir diese Erfahrung nicht für uns behalten, sondern von der Hoffnung sprechen, die uns erfüllt. Nutzt die Zeit! Nutzt die Gelegenheit, anderen von eurem Glauben zu erzählen und davon Zeugnis zu geben, ruft uns der Verfasser des Kolosserbriefes zu. Teilt eure Erfahrungen anderen mit.
Aber auch an dieser Stelle gilt, die Botschaft, die wir haben, nicht unter Wert zu verkaufen und wirklich das in den Mittelpunkt zu stellen, was der Kern unseres Glaubens ist, das weiterzugeben, was für uns als Glaubende zentral und wichtig ist: weise und angemessen, freundlich, aber entschieden, nicht im Austausch von Belanglosigkeiten, sondern mit Würze!
Wir tun dies als Queergemeinde beispielsweise, wenn wir mit unserer Botschaft hinausgehen zum CSD oder in die Öffentlichkeit eines Kirchentages. Und es hätte diesen Queergottesdienst vielleicht gar nicht erst gegeben – wir haben es vor zwei Monaten gehört –, wenn einige von uns sich nicht gescheut hätten, auch in der Disko – beim „Rosa Freitag“ – über dieses Thema zu sprechen.
Freundlich, aber entschieden: Das gilt auch für unser Zeugnis in der Kirche selbst. Wir sollten uns nicht wieder ausladen oder zum Schweigen bringen lassen. Auch in der Kirche sollen und können wir als schwule Christen und lesbische Christinnen unseren Glauben und unsere ganz spezifischen Glaubenserfahrungen zur Sprache bringen. Wenn wir dies weise und freundlich, aber entschieden und mit Würze tun, haben wir etwas anzubieten und werden wir – da bin ich mir sicher – gehört werden.
Lassen wir uns nicht daran hindern, gemeinsam miteinander zu beten und zu singen, zu loben und zu bitten, zu klagen und zu danken – auch nicht am CSD. Mischen wir uns daher als Queergottesdienst weiterhin ein, in der Szene wie in der Kirche, auf dem CSD wie auf den Kirchen- und Katholikentagen.
In einer ganz anderen geschichtlichen Situation als der unsrigen hat Benjamin Schmolck seine Glaubensüberzeugung ins Gebet und ins Lied gebracht. Aus seiner Feder stammen rund tausendzweihundert Kirchenlieder. Was wie ein fröhliches Frühlingslied daher kommt, ist in einer kirchenpolitisch durchaus dramatischen Situation verfasst worden.
Als Ergebnis des Westfälischen Friedens von 1648 durften die schlesischen Protestanten drei Kirchen bauen: allerdings nur aus Holz, ohne Verwendung von Nägeln und außerhalb der Stadtmauer gelegen. Eine davon ist die Friedenskirche in Schweidnitz. Hier wirkt Benjamin Schmolck als Pfarrer. Immer wieder erfährt er die konfessionellen Spannungen seiner Zeit am eigenen Leib, sieht er sich Bedrängnissen durch die Gegenreformation ausgesetzt, steht er vor der Ausweisung aus der Stadt. Angesichts dieser Bedrohungen – „in finstern Tagen“, wie es im Lied heißt, – besingt er die Freude und die Kraft, die aus dem Christusglauben kommt und die wir im Gottesdienst erfahren können.
Nicht ohne eigenes konfessionelles Selbstbewusstsein hat er damit zugleich der evangelischen Festfreude ein musikalisch-poetisches Zeugnis gesetzt, besingt er den Schmuck des evangelischen Gotteshauses, das sich frühlingshaft-österlich geschmückt hat. Auch wir haben versucht, zumindest etwas von diesem Maienschmuck heute hier in Sankt Johannis sichtbar zu machen.
An diesem Mai- und Ostersonntag „Rogate“ wollen wir uns die Worte Benjamin Schmolcks in unserem Beten zu eigen machen, um hier und heute als Nürnberger Queergemeinde unseren christlichen Glauben und unsere christliche Hoffnung zu bekennen. Sein Lied „Schmückt das Fest mit Maien“ soll heute unser Predigt- und Glaubenslied sein – als Antwort auf die Mahnung des Kolosserbriefes, die heute auch uns gilt:
Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!
Oder wie Benjamin Schmolck singt:
- Lass uns hier indessen, nimmermehr vergessen, dass wir Gott verwandt; dem lass uns stets dienen umd im Guten grünen als ein fruchtbar Land, bis wir dort, du werter Hort, bei den grünen Himmelsmaien ewig uns erfreuen.
Amen