Predigt November 2008

Predigt für den Queergottesdienst im November 2008

2. Korinther 5, 1-10 im November 2008

Liebe Queergemeinde,

ich lese den Predigttext noch einmal, weil er es doch ganz schön in sich hat und Ihr ihn nach diesen Erläuterungen von Hedi bestimmt nochmal etwas anders hört.

Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. Gott aber, der uns gerade dazu fähig gemacht hat, er hat uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben. Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind; denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind. Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.

Ich weiß nicht, wie es Euch vorhin bei der Körpermeditation ergangen ist. Aber bei mir ist es zur Zeit immer mal wieder so, dass es im Körper hier und da ganz schön zwickt und weh tut. Und gerade wenn ich dann mal in so einem ruhigen Augenblick meine Wahrnehmung auf meinen Körper konzentriere, wird mir mehr als deutlich wie begrenzt ich bin, wie unvollkommen und zerbrechlich mein Körper eigentlich ist. Körperliche Schwächen oder gar Krankheiten, können einem das Leben ganz schön schwer machen. Ständige Schmerzen können einen Menschen ganz schön zermürben. Nicht umsonst sprechen wir ja davon, dass Menschen unter einer Krankheit leiden. Leiden - das ist ein Ausdruck für Schwere, für Schmerz, auch für Unglücklich-Sein und seelische Belastung.

Es ist ja tatsächlich nichts ungewöhnliches, dass es Vielen schwer fällt, sich mit den eigenen körperlichen Gegebenheiten und Grenzen abzufinden. Der einen fällt es schwer, sich so zu akzeptieren, wie sie äußerlich gebaut ist. Dem anderen fällt es schwer, seine Zipperlein, seine abnehmenden Kräfte oder auch eine Krankheit anzunehmen. Unser Körper mit seinen Grenzen ist ein Beispiel für das, was Paulus meint mit dem irdischen Zelt, in dem wir hier auf der Erde, in der Fremde unterwegs sind. "Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde."

Mit dem Entkleiden und dem Überkleiden spielt Paulus ja nicht auf irgendeinen Striptease an, sondern beschreibt eine weit verbreitete menschliche Eigenschaft: Die eigenen Grenzen, das eigene Unvermögen und Nicht-Können, aber auch die eigene Sterblichkeit nicht wahrhaben zu wollen. Wir wollen nicht entkleidet, nicht Bloßgestellt werden, mit dem, was und wie wir sind. Viel lieber hätten wir es, ohne Schmerzen und ohne Leiden schon im Hier und Jetzt einfach die ewige Glückseligkeit zu finden, also mit dem ewigen Leben, dem ewigen himmlischen Haus überkleidet zu werden.

Tsja, ein schöner Wunsch und eine fast kindliche Sehnsucht steckt dahinter: nämlich, dass alles schon in diesem Leben vollkommen sein soll. Der Himmel soll auf Erden stattfinden. Bestimmt kennen das Einige von Euch auch, wie verzweifelt und sauer man auf die Ungerechtigkeit der Welt und des Lebens werden kann, wenn man einmal wieder die eigenen Grenzen erfahren hat.

Es ist ähnlich wie bei einem trotzigen Kind. Mütter und Väter unter uns werden das gut kennen. Kinder, die so mit 2 bis 3 Jahren in der sog. Trotzphase sind, wollen immer Alles und das am besten gleich jetzt. Und dann wiederum wissen sie gar nicht genau was sie wollen. Auf jeden Fall kann man ihnen bei einem Trotzanfall gar nichts recht machen. Zorn- und Wutausbrüche sind die Folge, Heulanfälle und ständiger Widerspruch. Es ist, als ob sie ständig ihre Grenzen austesten müssen, aber auch also sie ständig an ihnen leiden, als ob da das Leiden an der Ungerechtigkeit dieser Welt aus ihnen herausbricht. Sie brauchen dann einfach konsequente Erwachsene, aber auch solche, die sie mit Geduld aushalten. Zugleich sehen wir hier bei den Kindern, wie stark und wie ursprünglich die Sehnsucht nach Vollkommenheit in uns Menschen wurzelt. Paulus beschreibt es ja so: "Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden."

Die Sehnsucht nach Vollkommenheit in unserem Herzen und die Erfahrung der vielen Unvollkommenheiten in unserem Leben - das ist auch ein Begleitthema von Liebes- und Beziehungsgeschichten. Gerade Menschen wie ich, die sehr anfällig sind für romantische Beziehungsvorstellungen, kennen diese große Sehnsucht nach Vollkommenheit, nach dem Himmel auf Erden in Liebesdingen. Da kann man auch schnell enttäuscht werden. Trotzdem glaube ich, dass wir gerade in der Liebe auch das Göttliche, das Vollkommene erahnen und schon Ausschnittweise erfahren können. Ich bin davon überzeugt, dass die Liebe eine himmlische Macht ist und wir darin Gottes Nähe im Hier und Jetzt erfahren können. Die vollkommene Liebe wird es aber wohl nie auf Erden geben und muss es eigentlich ja auch nicht. Wir Menschen sind begrenzt, unser Leben hier ist begrenzt. Liebe hier in diesem Leben, im irdischen Zelt, muss damit klar kommen, dass die Sehnsucht nach Vollkommenheit im Hier und Jetzt nicht befriedigt wird. Das kann helfen, überhöhte Erwartungen an den Partner, die Partnerin loszulassen. Das kann helfen zu akzeptieren, dass ich und meine Partnerin oder mein Partner blinde Flecken, Unzulänglichkeiten, Schwächen haben. Es kann helfen, einfach gnädig und auch vorsichtig miteinander umzugehen. Denn die Liebe macht uns ja auch verletzlich. Sie ermöglicht Nähe zwischen uns Menschen, in denen wir doch schon entkleidet und bloß voreinander stehen. Da braucht es Vorsicht untereinander. Da bleiben aber auch Verletzungen nicht aus. Zur ewigen und vollkommen Liebe Gottes, in der alles heil werden kann, werden wir aber erst noch kommen.

Das Alles sagt sich so leicht: Das Beste kommt noch. Akzeptier einfach Deine Grenzen, dann kannst Du Dein Leben einigermaßen glücklich und zufrieden leben. - Aber wie soll man das schaffen? Mit dieser Sehnsucht nach Vollkommenheit im Herzen, mit diesem Seufzen über die Schwere des Lebens, und mit dem Wissen um alle Begrenztheit.

Gerade in dieser Jahreszeit jetzt spüren wir das ja ganz besonders. Der trübe Herbst mit seinen kalten Tagen und v.a. mit seinen Gedenktagen für die Verstorbenen breitet diese Gedanken ja geradezu vor uns aus: unsere Unvollkommenheit, unsere Begrenztheit, unsere Sterblichkeit.

Gottes Geist hilft uns - das meint zumindest Paulus. Er sagt, dass wir durch den Geist und durch unseren Glauben schon einen ersten Anteil an der Ewigkeit erhalten. Dass wir dadurch gestärkt werden, hier im irdischen Zelt auf unserer Wanderschaft durch das irdische Leben zuversichtlich zu sein - mit unseren Grenzen, aber auch mit unseren besten Absichten und Bemühungen für ein gutes Leben. Unser Glaube also hilft uns, dass das Beste noch kommt, dass die Vollkommenheit und Vollendung uns versprochen ist, dass das himmlische Haus auf uns wartet, dass all das unsere Zuversicht stärkt und dass wir dadurch im hier und jetzt unser Leben bestehen können.

Ich halte das für einen starken Gedanken und bin davon überzeugt, dass viele Menschen daraus Kraft ziehen, aus dem Glauben, dass Gott für uns nach diesem irdischen Jammertal den Himmel bereithält. Und dennoch merke ich, dass mir diese Aufteilung auch zu einfach ist: Die Welt ist schwer und schlecht, der Himmel ist leicht und gut.

Paulus neigt ja hin und wieder dazu, solche einfachen Alternativen aufzubauen. Manchmal ist das auch hilfreich, um Dinge zu pointieren. Aber es ist trotzdem auch wichtig, sie wieder zu durchbrechen. Denn, in einem Zelt unterwegs zu sein, das ist ja nicht nur schlecht. Zelten kann doch auch großen Spaß machen und wunderbare Erfahrungen mit sich bringen. Gerade beim Zelten kann ich Gott in der Schöpfung oder in den Menschen, die mich begleiten, ganz wunderbar und hautnah erfahren.

Auf unser Leben übertragen bedeutet das: Hier auf Erden und in unserem begrenzten Leben unterwegs sein, hat auch seine schönen Seiten. Ich erlebe mit Menschen wunderbare Dinge, ich kann lieben und berührende Erfahrungen im Leben machen, ich kann neue Erkenntnisse gewinnen und etwas lernen, ich kann neue Länder erobern und fremde Kulturen entdecken. Immer nur auf das Jenseits zu schielen oder - um im Bild von Paulus zu bleiben - sich nach dem himmlischen Haus zu sehnen, kann unser irdisches Leben auch mies machen.

Gerade mein Glaube an Gott, gerade Gottes Geist hilft mir aber doch auch, im Hier und Jetzt zu leben. Mein Wissen darum, dass ich nicht vollkommen bin und auch nicht sein muss, ist mir ein Ansporn, gnädig zu sein mit mir und anderen. Mein Wissen um unsere menschlichen Grenzen hilft mir, Gottes Liebesgebot auch im Hier und Jetzt immer wieder zu leben und Verständnis dafür einzufordern, dass Menschen nicht perfekt sind. Denn die Ewigkeit umfasst ja auch dieses Leben. Gott ist auch im Hier und Jetzt gegenwärtig. Mich auf Gott und das von ihm verheißene ewige Leben einlassen, heißt nicht, alles auf das Jenseits zu verschieben, sondern schon jetzt mit Gott und in seiner Gegenwart zu leben. Aber es bedeutet eben auch, realistisch zu leben und zu sehen: Wir sind nicht vollkommen, es gibt viele Veränderungen im Leben und Vieles ist vorläufig.

So geht der Weg vom irdischen Zelt zum himmlischen Haus natürlich immer wieder über unsere Sterblichkeit, über Werden und Vergehen, über Verlust und Loslassen. Der Weg vom Zelt ins himmlische Haus geht durch Tod und Schmerz hindurch. Das lässt sich nicht vermeiden - auch wenn sich Viele nach einem leichteren Weg sehnen.

Der Glaube an Gott und an das himmlische Haus. Der Glaube an Gottes Gegenwart in seinem Geist, der uns begleitet. Das Wissen darum, dass wir nur Gast auf Erden sind. All das kann uns stärken und Kraft und Zuversicht schenken für alle unsere Wege im Leben wie im Sterben. Im Text heißt es so wunderschön "Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschhand errichtetes ewiges Haus im Himmel." Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir dorthin gehören und dort gewollt und geliebt sind - so wie wir es tief im Herzen ersehnen.

Amen