Predigt März 2008

Queergottesdienst am 16. März 2008

 Anspiel:

Sebastian sitzt an einem Tisch  vor dem Altar mit Bierkrug, Chips und Schokolade und isst und trinkt still und genüsslich vor sich hin. – Nach einiger Zeit kommt Hedi an den Ambo:

H: Sebastian?
S: Ja?
H: Ich bin dein Gewissen!
S: Ja  ??
H: Du trinkst Bier, isst Chips und Schokolade??
S: Ja!
H: Hattest du nicht einen Fastenvorsatz?
S: Ja.
H: Wolltest du nicht auf Alkohol, Chips und Schokolade verzichten?
S: Ja…
H: Und? Was machst du da??  - Du trinkst Alkohol und isst Chips und Schokolade.
(S nickt kleinlaut)
H: Sebastian, ich bin enttäuscht von dir, schwer enttäuscht.
Nicht einmal auf Bier, Chips und Schokolade kannst du verzichten für deinen Glauben.
Und, was haben andere getan für ihren Glauben? Soll ich dir das mal verraten???
S: (kleinlaut) Ja.
H: Schau mal, da, der Mose (stellt die Ekelpuppe auf den Tisch).
Der große Prophet! Er hätte Sohn einer Tochter des Pharaos genannt werden können!
Er hätte am Hofe des Pharaos in Pracht und Herrlichkeit leben können! Aber nein! Lieber wollte er sich zusammen mit dem Volk Gottes mishandeln lassen, als flüchtigen Genuss von der Sünde zu haben. Von Wasser und Manna hat er in der Wüste gelebt!
Und du?? – trinkst Bier und isst Chips. (Sebastian stellt den Bierkrug unter den Tisch)
Oder: Sara, die Frau des Abraham. (stellt die Ekelpuppe auf den Tisch)
Die Arme! Bis ins hohe Alter hat sie demütig die Schmach der kinderlosen Frau ertragen. Sie hat Abraham nicht zu einem anderen Mann geschickt! Nein, sie blieb standhaft und wartete auf die späte Erlösung durch Gott!
Und du ??? – wartest nicht, sondern trinkst Bier und isst Chips und Schokolade.
(S. versteckt auch Chips und Schokolade unter dem Tisch.)

 

 

 

Oder – wen haben wir hier denn noch – o Gott, Jesus! (zeigt die Ekelpuppe)
Von dem brauch ich ja gar nicht erst reden! Jesus, der Urheber und Vollender des Glaubens! Er hätte in Ruhe und Freude leben können, aber nein! Er nahm die Schande des Kreuzes auf sich! - und sitzt nun zur Rechten Gottes im Himmel!

Echte Heilige haben aufgrund ihres Glaubens:
Königreiche besiegt, Löwen den Rachen gestopft, Feuersgluten gelöscht.
Sie haben Spott und Schläge erduldet, ja sogar Ketten und Kerker.
Gesteinigt wurden sie, verbrannt, zersägt!

Und ihr? Was tut ihr für euren Glauben?
Ihr sitzt hier gemütlich am Sonntagabend im Gottesdienst. Ist das alles?

Und der Sebastian? – trinkt Bier und isst Chips!
Sebastian, so wird das nichts. (ab)

Liebe Queer-Gemeinde,

was ihr jetzt wohl davon haltet, dass ich hier stehe und Euch was predigen will?

Ich, der Fastenbrecher, der Inkonsequente, Genuss-Süchtige. Mich musste das Gewissen mahnend an all die guten Vorbilder erinnern, die viel mehr durchgehalten haben auf ihrem Weg zu - und mit Gott. Was haltet ihr davon, dass ich noch was zu sagen habe?

Natürlich war jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen rein zufällig – trotz der Namensnennung in unserem Anspiel. Aber es würde mich doch interessieren, was in Euch vorgegangen ist, während Ihr Zeugen dieser Szene wart.

Hat sich in Euch vielleicht ein bisschen Schadenfreude geregt? Oder doch eher Mitleid mit dem Armen, der da so hart zur Brust genommen wird? Wohlmöglich hat sich auch der eine oder die andere mit mir identifiziert. Mit einem, bei dem die Fasten-Vorsätze zu „Fast-Vorsätzen“ wurden.

Ich weiß es nicht, wie das bei Euch war. Aber feststeht, dass wir für dieses Anspiel inspiriert wurden von einer Mahnrede, die sich im Kapitel vor unserem Predigttext findet und die sozusagen im Aufruf der eben gehörten Lesung gipfelt.

Tatsächlich werden im Kapitel zuvor Mose, Sarah, Abraham und viele andere genannt, die durch ihren Glauben das Vorbildhafte schaffen. Ihr Glauben ist es hier, der sie aus der Menge der Menschen hervorhebt und dafür sorgt, dass sie in die Heilsgeschichte Gottes eingingen.

Wie diese genannten - auch Noah, Isaak, Jakob, Josef usw.  werden erwähnt – wie sie durch ihren Glauben gesegnet worden – das ist doch der Bewunderung wert,…

…da muss sich jeder Fastenbrecher gleich noch kleiner vorkommen. Die eigene Inkonsequenz wird damit verglichen zum Dilemma, die „kleine Sünde“ zum großen Versagen des Möchtegern-Christen. Folge: der Verfasser des Hebräerbriefs meint, er müsse wieder bei Null anfangen und alles noch mal von vorn erklären. „Ihr, die ihr längst Lehrer sein solltet, habt es wieder nötig, dass man euch die Anfangsgründe der göttlichen Worte lehre“ heißt es ein paar Seiten vorher.

Wie ging es den ersten Lesern damit, solche Worte zu hören?

Man stelle sich das mal vor: Gemeinden in der Frühzeit des Christentums, Menschen, die sich für ihren Glauben in Gefahr begeben haben, oder zumindest belächelt wurden. Vieles ist für sie noch unklar, sie sind Anfechtungen ausgesetzt. Uns heute steht eine ausformulierte Glaubenslehre in Grundsätzen, Bekenntnisschriften und Katechismen zur Orientierung zur Verfügung. Davon waren die Christen damals noch weit entfernt. Umso mehr erhoffen sie sich Wegweisung und befreiende Worte von ihren Lehrern. Und erhalten vom Verfasser des Hebräerbriefs ein Schreiben, das wahrlich keine leichte Kost ist. Wie viele Kapitel Ermahnungen bräuchten wir denn dann?

Handelt es sich bei dem Schreiber um einen Moralapostel? Die Kritik an der Unvollkommenheit und scheinbaren Halbherzigkeit der angesprochenen Christen ist unüberhörbar. Ein langer und ausführlicher Bezug zum Alten Testament wird eröffnet. Und zwar mit der Kernaussage, dass jene damals… besser waren als die Ermahnten. Die Feststellung, dass andere vor ihnen viel härtere Anfechtung-en ertragen haben.

Doch übertroffen wird jenes Heilgeschehen früherer Zeiten noch mal vom Leben, Sterben und der Auferstehung Jesu. Zu ihm, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, heißt es, aufzusehen. Der Aufruf zur Orientierung am Kreuz und am Weg Jesus ist freilich der Kern unserer heutigen Lesung, aber auch hier scheint das Wort nicht ganz frei vom „erhobenen Zeigefinger“.

„Was tut ihr für Euren Glauben“ hat das Gewissen uns gerade alle gefragt. Wie ist das, wenn Glauben in uns aufkeimt, wächst, einen Teil von uns ausmacht und uns etwas bedeutet?

Wenn wir diesen Glauben nun leben wollen? Ihn ernsthaft integrieren wollen, oder schon dabei sein, das zu versuchen? Dann werden wir die Erfahrung machen, dass solches nicht immer einfach ist. So auch die ersten Leser unseres Predigttextes. Sie kannten das, was sie „beschwert“, die Sünde, die sie „ständig umstrickt“, wussten von Ungeduld, Widerspruch. Sie kannten schon das Gefühl, matt und müde zu werden auf dem manchmal harten Glaubensweg.

Wo ist in unserem Leben etwas, das uns fesselt, was bildet unseren eigenen Widerstand? Empfinden wir unser Leben nicht auch manchmal als Kampf – und wird uns damit nicht auch der Glauben erschwert?

Jedoch: Verfolgung und Bedrohung erleiden wir heute nicht mehr als Christen. Stattdessen sind die Widerstände oft innerer Natur, sind in uns selbst zu suchen. Bequemlichkeit, eigene Ziele und Interessen vorziehen, mehr Schein als Sein: durch solche Lebensweise, die uns allen nicht fremd ist, gerät der Glauben ins Hintertreffen.

Da aber ist nun Jesus Christus, auf den wir eingeladen sind, zu blicken. Nicht, um uns dadurch einschüchtern zu lassen, sondern weil von ihm überhaupt unser Glaube kommt.

Jesus ging seinen Weg mit Konsequenz weiter. Heute ist Palmsonntag. Da war alles noch voller Freude und festlich, Jesus zog in Jerusalem ein. Ein herzlicher Empfang wurde ihm bereit, die Menschen lobten ihn und hießen ihn willkommen. Doch wie schnell kann das umschlagen, konnte das schon damals umschlagen.

Laut Evangelium innerhalb weniger Tage - bis zur Verfolgung, Kreuzigung und Tod. Und Jesus war sich dessen bewusst, er ging hinauf nach Jerusalem schon mit der Perspektiveauf das Leiden und die Kreuzigung!

Ihm folgen wir nach, er ist zum Begründer unseres Glaubens geworden.

Eine Nachfolge in diesem Sinne ruft aber einen großen Zwiespalt hervor: Anfragen werden laut, Sturheit wird einem vorgeworfen. Erfolg und Gelingen sind nicht absehbar. Was „bringt“ dir die Nachfolge eigentlich?

„Jesus, was bringt dir das eigentlich. Was bringt das Leiden? Warum setzt du dich dem aus? Schwöre doch ab, sag dich los! Leugne, dass Du der Sohn Gottes bist, und du hast deine Ruhe. Die Menschen scheinen dich nicht zu verstehen. Was willst du da noch länger Dein Leben riskieren?“ Solche Anfragen und Anfechtungen hörte ER damals.

Was bringt das eigentlich? Für die Christen später wurde diese Anfrage auch immer wieder laut, für uns heute noch wird sie laut. Wenn uns Widerstände belasten auf dem Weg des Christseins. Wenn wir die Orientierung verlieren und es leichter ist, halbherzig zu sein oder nein zu sagen, zumindest aber gleichgültig zu bleiben.

„Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich“ heißt es gleich mehrmals im Evangelium. Schon aus seiner eigenen Perspektive erkannte Jesus, dass der Weg der Nachfolge nicht einfach werden würde. Und sagte: „wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren.“ Das klingt  schon wieder nach einer Drohung, nach einer unerbittlichen Konsequenz, nach…

Moment mal! Aber auch nach der Einladung, loszulassen, beim wesentlichen anzukommen. Loszulassen, und sei es auch erstmal nur den Bierkrug oder die Schokolade, kann befreiend sein. Wenn wir unsere Grenzen erkennen: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt erkennt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt…“

und daraus erfahren wir: Jesus hat vieles erduldet und ist scheinbar nicht den Gewinnerweg gegangen. Wurde am Ende aber erhöht. Auch wenn damit keiner gerechnet hatte.

Christsein ist nicht bequem, aber es kann ein Leben aus der Freude heraus werden. Nicht aus der irdischen Freude und den alltäglichen Genüssen heraus. 

Sondern der Freude: dass der Tod überwunden ist. Und es kann heute auch die Freude sein, sich selbst treu zu bleiben. Den Glauben wirklich zu leben, spürbar, durchzuhalten.

Der Tod überwunden…? Jesus hat den Tod überwunden. Doch das Wort Tod wird zum Beispiel von Jörg Zink in einem neuen Licht gesehen, das uns hilft, auch uns hineinzunehmen in eine befreiende Möglichkeit der Überwindung des Todes.

Jörg Zink sagt: alles ist Leben, wenn es in Gott ist. Alles ist Tod, wenn es außer ihm bleibt.

Jesus ging wirklich den unwahrscheinlichsten und schmerzlichsten Weg zur Freude. Weil er erkannte: da muss ich jetzt durch. Als Gottes Sohn hat er das auf sich genommen, was so anstößig war und so den Regeln widersprach. So sehr widersprach, dass auch später noch die Leute Christen fragten: wie bitte – ihr glaubt an einen, der gekreuzigt wurde? Die befreiende Botschaft Gottes geht aber an diesem Widerspruch nicht vorbei, sondern gipfelt in ihm. Erst gekreuzigt- dann aber auferstanden.

Es gibt den einschüchternden Aspekt daran: es Jesus doch gefälligst ansatzweise gleichzutun. Das kann aber nicht das sein, was uns bei Mutlosigkeit und Mattheit im Glauben hilft.

Sondern es hilft die Tatsache, wie die Geschichte weitergegangen ist. Daraus zu erkennen, dass auch wir nicht ewig die Schwierigkeiten haben werden. Leben ist manchmal hart, auch und gerade Leben im Glauben. Aber aus den Schritten zur Gerechtigkeit und zur Freiheit in Gott kann etwas wachsen und neues Leben möglich werden.

Zu den ersten Lesern unseres Textes hieß es: Laßt uns lauf mit Geduld, lasst uns den Glauben leben, weil: wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben.

Wie könnte es für uns heißen? Ganz einfach – nicht weil uns eine Wolke, nein, weil uns eine Gemeinde umgibt, weil wir als Christen doch nicht allein dastehen – darum lasst uns durchhalten. Wir sind vereint durch das Bekenntnis zu Christus. Dieses Bekenntnis wird lebendiger und gewinnt Profil in Gemeinschaft mit anderen Christen. Wir sind uns dann gegenseitig Stütze und Halt.

Dann können wir uns selbst immer wieder gegenseitig erinnern: Ausgangspunkt und Ziel unseres Lebens ist Gott. Nicht drohend. Nicht mit dem Unterton, der sagt: „Also…so wird das nichts!“.

Sondern in Nächstenliebe, die sich bewusst ist, dass es für keinen von uns leicht ist. Wir dürfen auch mal mutlos sein, matt werden. Aber Gott selber hofft, dass der Tod auch bei uns nicht das letzte Wort hat. Dass wir alle zu ihm finden und ihm vertrauen lernen. Schritt für Schritt, jeden Tag. Darauf vertrauen wir.

Amen.