Predigt Oktober 2013

Queergottesdienst am 20.10.2013, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu Jakobus 5,13-16 „Das Gebet für die Kranken“

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Wir sind mitten im Herbst, es ist frisch bis kalt und immer wenn es dazu noch geregnet hat, darf ich meinen Gleichgewichtssinn trainieren, wenn ich auf den Weg zum Supermarkt oder zur U-Bahn drohe auf dem nassen Laub auszurutschen. Es ist ideale Zeit für Erkältungskrankheiten, der eine weniger stark betroffen, dafür der andere um so heftiger. Auch ein Mitglied aus dem Queergottesdienstteam blieb leider nicht davon verschont und hütete das Bett anstatt unserem Teamtreffen diesen Monat beizuwohnen.

Nun geht es in dem Gebet für die Kranken, das wir gerade aus dem Jakobusbrief gehört haben, sicherlich nicht nur um Schnupfen, Husten und ein bisschen Fieber, sondern auch um ernsthaftere und chronische Erkrankungen. Hier meint das Wort „leiden“ oder „Unglück erleiden“ mehr als nur körperliche Krankheit; es umfasst jeden Verlust und Schmerz, der uns zugefügt wird, also z. B. auch Formen seelischer Belastungen. Jede und jeder, der Leid verspürt, egal in welchem Ausmass, möge beten. Gott möchte in Notlagen angerufen werden und er möchte helfen: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“ (Psalm 50,15).Wenn jemand krank ist oder sich krank fühlt soll er oder sie in die Gemeinde gehen, um sich an die Kirchenältesten zu wenden, damit sie für ihn oder sie beten. Das sind unter den zwei grossen Konfessionen also der Kirchenvorstand bzw. der Pfarrgemeinderat. Gemeinde kann natürlich auch was anderes sein als die Kirchengemeinde, die sich über den Wohnort bestimmt. Unser Queergottesdienst selbst ist für viele die echte Heimatgemeinde. Und so ist es selbstverständlich, dass wir für diejenigen, von denen wir wissen, das sie von Krankheit, Leid und Bedrückung geplagt sind am Taufsteinstein oder in den Bankreihen der Johanniskirche Fürbitte halten. Kranke Menschen gehören nicht nur in das Wartezimmer des Arztes, sondern mitten in die Gemeinde. Ein kranker Mensch leidet nie nur an seiner Galle, an seinen Bandscheiben, an Viren oder an Depressionen. Er oder sie ist als ganzer Mensch betroffen, verunsichert, im Glauben angefochten. „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihr / über ihm beten und sie bzw. ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“ So wie Ihr Euch gerne an ein Mitglied des Queergottesdienstteams oder einen regelmässigen Besucher wenden könnt, kann man sich anstelle dessen natürlich auch einen Vertrauten oder guten Freund anvertrauen. Bei der Formulierung über ihr bzw. über ihn beten, ist wohl eine Handauflegung gemeint, wie sie Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat (Markus 16,18). Die Handauflegung ist das äussere Zeichen dafür, dass der ganze Mensch samt seinem Körper vor Gott gebracht wird. Das Gebet der Ältesten ist durch eine Ölsalbung begleitet. Aus dem Wortlaut des griechischen Textes geht hervor, dass die Salbung mit Öl nicht als eine zweite Handlung zum Gebet hinzutritt, sondern das Gebet selbst verstärkt. Beim Öl muss man wohl nicht an die Zuhilfenahme eines damals üblichen Universalheilmittels denken. Im Anschluss (V. 15) ist allein von der Wirksamkeit des Glaubensgebets die Rede und nicht der kombinatorischen Wirkung von Gebet und Öl.

Beim Durchlesen dieses Textes springt es einem ins Auge, dass wir zu Gott nicht nur in Not, Angst, Bedrängnis und Krankheit beten sollen, sondern auch in Gesundheit und Wohlbefinden sollen wir unserem Schöpfer danken und loben. „Wem es aber gut geht und wer Grund zur Freude hat, der soll Gott Psalmen und Loblieder singen.“ Das heisst auch, dass nach überstandener schwieriger Zeit der Besuch einer Kirche, eines Gottesdienstes, einer Andacht oder dergleichen gerne fortgesetzt werden möge. Noch wichtiger ist, dass der Mensch seine gute Gemütslage und gesunden Zustand nicht für selbstverständlich erachtet, sondern Gott dafür dankt und preist. Das Bittgebet in angefochtener Lage und das Loblied aus fröhlichen Herzen gehören zueinander. Jemand wird in den Notzeiten seines Lebens kaum die Freiheit haben, Gott um Hilfe anzurufen, wenn er die Anbetung Gottes nicht bereits in den glücklichen und unbeschwerten Zeiten seines Lebens geübt hat. Wie können wir erwarten, dass Gott unsere Gebete in Leidenszeiten erhört, wenn wir ihm in guten Tagen nicht immer wieder danken?

„Und das Gebet des Glaubens wird der und dem Kranken helfen, und der Herr wird ihr und ihn aufrichten; und wenn sie bzw. er Sünden getan hat, wird ihr und ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.“ – Bei der Vorbereitung zu diesem Gottesdienst ist uns die Deutung dieser Aussage mit den Sünden schwer gefallen. Wir haben aber dann folgende Gedanken artikuliert:

Wir, das heisst ich, du, Sie und Ihr sollt offene Konflikte aussprechen und klären. Harmonie schaffen und ein gesundes Klima wiederherstellen, ob privat oder beruflich, auch innerhalb des Queergottesdienstteams. Es müssen Missverständnisse ausgeräumt werden, möglichst bevor eine Situation in irgendeiner Weise eskaliert. Entschuldigen, wenn man sich im Ton vergriffen oder einen anderen Menschen verletzt hat. Wir erbitten den Segen um friedliches Zusammenleben und Vergebung für unser getanes Unrecht.

„Das Gebet des Glaubens wird der und dem Kranken helfen, und der Herr wird ihr und ihn aufrichten.“ „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ Gott will aufrichtige und ernst gemeinte Fürbitten hören. Dann wird er den durch Krankheit, Angst, Not und Bedrückung gekrümmten Menschen wieder aufrichten, das bedeutet in eine aufrechte Position verhelfen. Gott weiss unsere Gedanken. Gott weiss unsere Bitten bevor sie von uns ausgesprochen werden.

Johannes, Matthias und ich haben uns gefragt, was wünscht man einem todkranken oder demenzkranken Menschen? Was wünscht man den Angehörigen?

Mein Opa leidet seit ein paar Jahren an Demenz. Anfänglich ging es noch, dass meine Grosseltern in ihrem Haus lebten konnten. Die Kinder und wir, die Enkelkinder, schauten regelmässig nach dem Rechten, gingen mit ihnen einkaufen nachdem der Grossvater das Autofahren aufgeben musste. Meine Oma musste viele Sachen neu dazulernen, was sonst Aufgabe von Opa war, z. B. die Bankgeschäfte. Mehr und mehr verlor mein Grossvater das Kurzzeitgedächtnis und auch das Interesse an seiner Umgebung und der Welt. Zudem wurde er leicht jähzornig, was vor allem meine Oma abbekam. Die Verwirrtheit nahm zu, zu den vielen Aufgaben, die nun meine Grossmutter managen musste, kam das Suchen der von meinem Opa verlegten Sachen hinzu. Regelmässig verlor er den Hausschlüssel und sorgte dafür dass beide aus ihrem Haus ausgesperrt sind. Irgendwann schaffte es meine Oma nicht mehr. Eine 84jährige Frau, die für ihr Alter geistig und körperlich noch sehr fit ist und sich nie über zu viel Arbeit und Mühe beklagte, gestand sich und ihrer Familie ein, dass ihr die ganze Situation mit ihrem Ehemann zu viel wird. Für eine kurze Zeit sorgte eine Krankenpflegerin und eine Tagesheimpflege für Entlastung. Meine Grossmutter stammt aus einer Generation, für die das Zusammenbleiben- und wohnen eines Ehepaares in guten und schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit eine Pflicht und Tugend ist. Erst nach langem, beständigen und guten Zureden, willigte sie schweren Herzens ein, ihren nun in einem fortgeschrittenen Stadium der Demenz befindlichen Mann der Obhut eines Pflegeheims anzuvertrauen. Bei dem unruhigen und aufbrausenden Wesen meines Opas verlief auch das nicht unkompliziert. Sicherlich begleiten meine Oma Selbstvorwürfe, sie lasse ihren Ehemann im Stich. Sie kann nicht verstehen, dass sich ein Mensch so sehr verändern kann. Sie weiss nun, dass ihr Mann niemals mehr so wird wie er einmal war und dass er nicht nach Hause zurückkehren kann, auch wenn er dies im Heim immer wieder fordert. Damit und dass sie nun alleine in ihrem Haus wohnen muss kommt sie einfach nicht klar.

Ich bete sehr oft für meine Oma, damit sie mit die Situation, so wie sie ist, akzeptiert und ein Weg findet damit zurecht zu kommen. Was soll ich für meinen Grossvater beten? Dass er noch ein paar Jahre lebt, damit Oma und die Familie inklusive mir ihn besuchen können, obwohl er uns wahrscheinlich nicht mehr wieder erkennt? Soll ich um seinen baldigen Tod bitten, damit er von diesem fürchterlichen Zustand endlich erlöst wird?

Wir können beten für Menschen in solch einer Situation, das heisst den Kranken und die Angehörigen. Die Wirkung müssen wir Gott überlassen.

Bei einem Freund von uns wurde eine seltene und unheilbare Krankheit diagnostiziert. Sein Ex-Freund organisierte ihm eine betreute Wohngruppe, in der er sich auch wohl fühlte. Allerdings verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide. Kurz vor Weihnachten kam zu seinem ohnehin bereits geschwächten Körper auch noch eine Lungenentzündung hinzu. Er hat mit dem Tod gerungen. Er kämpfte um sein Leben. Entgegen jeden ärztlichen Voraussagen überlebte er. Nun musste von seinem Ex-Partner, der die Betreuung übernahm, entschieden werden, ob seinem Ex-Freund eine Magensonde als lebensverlängernde Massnahme gelegt werden soll. Die Frage, die sich hier stellt ist: Was ist für den Kranken richtig? Und nicht für die Angehörigen, Freunde und Bekannte. Um so schwerer fiel die Entscheidung nachdem der Betroffene sich nie dazu geäussert hat und jetzt nicht mehr dazu in der Lage war. Nach einem schwierigen Entscheidungsprozess, wurde die Magensonde gelegt. Es war die richtige Entscheidung. Denn schliesslich kämpfte unser Freund um sein Leben und hat den Tod besiegt. Er wollte nicht sterben, er wollte weiter leben. Unser Freund hatte zwar nur noch begrenzte Möglichkeiten sich zu verständigen, aber allein dieses Händeschütteln von ihm genügte uns und den Menschen um ihn herum, um sein Befinden zu erkennen.

Mögen alle Gebete und Fürbitten, die wir für uns und andere sprechen, in der Weise in Erfüllung gehen wie es den Betroffenen und Gott dienlich sind.

Und der Friede Gottes, welcher alle menschliche Vernunft und Handeln weit übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unseren Freund und Bruder.

Amen.