Predigt Juni 2015

Queergottesdienst am 21.06.2015, St. Johanniskirche Nürnberg

Predigt zu Markus 4, 30-32

Liebe Queergemeinde,

wir haben so eben ein sehr kurzes Gleichnis gehört, in welchem Jesus das Reich Gottes mit der Senfpflanze vergleicht. Da hat Jesus bei mir persönlich voll ins Schwarze getroffen! Ich als ehemaliger Gastronom hege natürlich gegenüber dem Gewächs "sinapis alba" eine besondere Wertschätzung. Die Pflanze liefert nicht nur Samen, aus denen man die köstliche gelbe Paste namens "Senf" herstellt; sie ist aufgrund ihrer wertvollen Inhaltsstoffe auch noch ein wahrer Gesundbrunnen. Zudem ist die Pflanze selber sehr schön anzuschauen, und, nun ja: sie taugt auch zu einem sehr griffigen Gleichnis in Sachen "Reich Gottes". Und da dringen wir nun zum Eigentlichen vor, nämlich dem Wesen, der Aussage, den inneren Eigenschaften, sowohl der Senfpflanze, als auch des Reich Gottes. Und was sind diese? Ganz einfach: aus etwas ganz Kleinem erwächst etwas ganz Großes. Aus etwas Unscheinbarem, Nebensächlichem, wird etwas Überwältigendes. Allerdings, so haben wir im Vorbereitungsteam bei eingehender Reflektion über den Text gesehen: es wird nicht einfach nur SO ganz groß; es wird nur dann ganz groß, wenn es die richtigen äußeren Bedingungen hat: einen guten Boden, frisches Wasser, Wärme, Licht, und vor allen Dingen benötigt es zum Heranreifen der üppigen Pflanze mit ihren tausenden von Samenkörnern darin: ZEIT. Hat die Senfpflanze (also, das Reich Gottes), alle guten Bedingungen, aber es hat keine Zeit zum Gedeihen, dann kann es niemals wachsen, blühen und Früchte tragen. Die Senfpflanze steht ja nicht urplötzlich einfach so DA. Genau so wie das Reich Gottes nicht einfach so da ist, wenn ich ihm nicht die dafür nötige Zeit gebe. Und in dem Punkt ist die Senfpflanze absolut kompromißlos; sie läßt sich partout nicht zur Eile treiben. Die Vegetationsdauer von sinapis alba beträgt nun einmal 120 Tage. Wie lange die Vegetationsdauer des Reiches Gottes ist, ist leider weder dem Gleichnis zu entnehmen, noch findet man es bei Wikipedia oder bei Google. Zu dieser spannenden Frage gibt es, wie so oft, dann doch wieder keine Antwort. Auch wenn viele Gruppierungen dazu haargenaue Rechnungen aufstellen, angefangen von den Adventisten, über die Mitglieder der Wachturmgesellschaft, weiter zu den Lesern der Palmblattbibliothek in Indien bzw, Myanmar, eigentlich die Klein- und Nebengruppen, die es in allen Religionen dieser Welt gibt. Manche andere wiederum, wie z.B. die Pfingstgemeinden, sind der Meinung, das Reich Gottes kommt wie ein Blitz in mich gesfahren, und wenn mich dieser trifft, liege ich zappelnd und schreiend auf dem Boden.

Eine andere wichtige Eigenschaften von sinapis alba ist folgende: das Wachstum geschieht nahezu geräuschlos, still und ganz leise. Jesus will uns wohl sagen, daß auch das Reich Gottes ganz leise zu uns kommt. Es braucht kein Gewitter, keinen Lärm, kein Toben und Tosen. Auch wenn bestimmte Religionskrieger der festen Überzeugung sind, das Reich Gottes ließe sich nur herbeiführen, indem man auf dem Weg dorthin möglichst viele Ungläubige dazu entführt, vergewaltigt, versklavt, einsperrt oder gar ermordet.

Was haben diese Erkenntnisse nun mit uns als queere Menschen zu tun? Also, zunächst einmal: auch queere Menschen sind ja nicht vom Reich Gottes ausgeschlossen; oder hängt etwa an der Himmelspforte eine Tafel mit einem schwulen Pärchen drauf und der Überschrift: "Wir müssen leider draußen bleiben"? Ich glaube, eher nicht. Auch, wenn manche Glaubensbrüder so tun, als ob sie dieses Schild schon gesehen hätten. Daß diese Binsenweisheiten heute mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, kam ja auch nicht so wie ein Blitz in uns gefahren, das hat ja auch jahrzehntelanger, eigentlich sogar jahrhundertelanger Emanzipationsarbeit bedurft. Und auch dafür haben viele nicht nur ihre Ehre, manche haben sogar ihr Leben dafür verloren. Die Geschichte der schwulen Emanzipationsbewegung ist aufregend, bewegend und spannender wie jeder Sonntagskrimi; und es tauchen in ihr Namen auf wie Hirschfeld, Ulrichs, Praunheim und viele andere. Auch das hat viel Zeit gebraucht, und das allermeiste davon geschah ziemlich leise, außer vielleicht die Impulse von Praunheim. Heute haben wir, Gott sei Dank, Bedingungen für uns erreicht, unter denen es sich würdig und gedeihlich leben läßt. Wie gehen wir nun mit diesem Schatz um? Ich sehe darin für uns einen Auftrag, nämlich, daß wir uns selber mindestens genau so würdig und freundlich behandeln, wie wir es  - zu Recht – von der Öffentlichkeit einfordern. Und gerade auf diesem Gebiet sehe ich doch noch ein bißchen Nachholbedarf in Sachen schwuler Emanzipation; ich brauche da nur einmal hinschauen, wie es den älter werdenden Schwulen in unserer Gesellschaft geht. Leider ist es eben nicht so, daß die schwule Community nur aus lustigen, attraktiven, modisch stilgerecht gekleideten,  sexuell erfolgreichen, wirtschaftlich gut situierten, und dazu noch immer gut gelaunten und intelligenten hübschen jungen Männern besteht, wie man sie von diesen Tagen an auf den verschiedenen CSDs in den verschiedenen Städten sieht; und leider wird von den Medien genau dieses schiefe Bild über uns transportiert. Ich meine, die meisten Schwulen sind entweder alt, krank, nicht dem Schönheitsideal entsprechend, arm, bzw. verarmt, nicht nach D & G bzw. Jack & Jones eingekleidet, nicht dauerpotent, nicht immer so hoch gebildet, und stimmungsmäßig auch oft eher im unteren Bereich angesiedelt bzw. chronisch depressiv, oder suchtkrank oder generell vereinsamt. Und die Verbotsschilder zu genau diesen Menschen sollten wir alle von der Pforte unserer queeren Community schleunigst entfernen.

Amen.