Predigt Juni 2006

Queergottesdienst am Sonntag, den 18. Juni 2006
 „Der andere Kick“

Liebe Queer-Gemeinde,

„der andere Kick“ – eigenwilliges Motto. Nürnberg hat sich für die Zeit der WM das Motto gegeben „Nürnberg kickt!“ und die schwullesbischen Vereine haben reagiert mit „der andere Kick“. Muss frau sich erst mal reindenken...

  • Wir sind anders – aber wir wollen auch dabei sein
  • Wir wollen auch einen Kick haben, aber bitte den anderen Kick
  • Was bitte ist der andere Kick?!?!?

Wenn ich mir grad so die Menschen in Fußballdeutschland anschaue, dann freu ich mich. Ich find’s nett, was gerade so passiert. Gute Stimmung, Riesenfest! Bei mir gegenüber gibt es eine Kneipe, die heißt „Angolo“ und ich dachte: aha, Italiener, bis ich sie türkisch miteinander reden hab hören. Seit Beginn der WM haben sie draußen einen Fernseher aufgestellt und die Gäste können jedes Spiel anschauen. Beim Eröffnungsspiel Deutschland – Cost Rica bin ich mit dem Fahrrad vorbeigekommen und hab angehalten und gleich hat der Mann, neben dem ich zu stehen gekommen bin, mir zugeraunt „2:1 für Deutschland“ – sehr nett!

Fußball, das sind Gefühle! Da wird gelacht und getanzt und geheult und gestritten und natürlich auch geprügelt, ich will hier nix unter einer Heilenfußballdecke begraben – es gab eine Schlägerei in Dortmund, deutsche und polnische Fans. Das ist ein abseitiger Kick, den die sich da holen müssen. Aber die Mehrzahl der Fans feiert doch, will Fußball sehen, will sich reinbegeben, will sich vergessen für 90 Minuten, will mitgrölen, will Tröten und Trompeten, will sich anders verhalten als sonst. Ein Fest! Und auch wenn der Stellenwert von Männerfußball (wer hat die Frauenfußballweltmeisterschaft gekuckt, Hand aufs Herz?!) in unserer Gesellschaft sehr hoch ist und wenn Männlichkeit gleich Fußball ist, gibt’s doch auch mehr und mehr die andere Seite: Weibliche Fans genießen am Fußballfansein, dass sie sich mal abseits der Rollenklischees verhalten können und brüllen dürfen: „Ey, Schweini!“ oder „Schiri, ans Telefon!“ Begeisterung!! Deren „anderer Kick“?!? Ich hab vor dem Fernseher gejohlt und die Arme hochgerissen, als Ghana gestern das 2:0 geschossen hat ;-) Und ich könnte Mitglied in den Frauenfanclubs „Hooligänse“ oder „Tivoli Tussen“ werden...

Und schwule Fans, was genießen die?! Den Trikotausch (*Klischee-Klischee*) – auf jeden Fall oder?! Ich bin sicher, es gibt auch echte schwule Fans – „erst kommt der Fan und dann das Geschlecht“ hat eine Fußballforscherin gesagt.

Ist das nicht erfreulich für uns ganz andere, für uns queere Menschen?!

Der andere Kick... Vorhin hatten wir ja schon ein Brainstorming (>>>einbauen!!<<<) Was ist denn der andere Kick für uns Queergemeinde? Für alle die queeren hier...

Wir spielen alle irgendwo mit in unserem Leben, in der Arbeit, im Büro, in der Freizeit. Wir passen uns an die vom Trainer geforderte Taktik, an das Team und an die äußeren Bedingungen. Und wir sind alle auch ein bisschen „neben der Spur“, anders eben als der Rest. Individualisten, kleine Ronaldinhos. Manche mehr, manche weniger. Mehr Outing oder weniger. Mehr Engagement oder weniger. Sei es als Christin oder Schwuler, als Lesbe oder Christ. Ganz so, wie wir es wollen. Ich kann mir den anderen Kick geben in der Disco, indem ich mir immer wieder jemanden anlache für eine Nacht oder so. Ich kann mir den anderen Kick geben mit meiner Freundin aufm Sofa beim ‚The L-Word’ anschauen. Ich kann mir den anderen Kick geben durch mein Engagement bei Fliederlich oder amnesty oder dem Queergottesdienst. Ich hab alle Möglichkeiten.

In anderen Ländern haben Schwule und Lesbe keine Ausweichmöglichkeiten. Ich denke an die Schwestern und Brüder in Polen und in Russland, die bei ihren CSDs (und nicht nur da) erleben müssen, dass sie unerwünscht sind. Die mit Steinen beworfen werden, die nicht offen leben können, die von der Kirche verdammt werden. Sie werden wahrscheinlich ganz anders denken über „den anderen Kick“, vielleicht sogar zynisch werden: wenn es hier einen anderen Kick gibt, dann von den Konservativen und Rechten, die uns treten und schlagen! Wäre das nicht der andere Kick von uns als lesbische und schwule Christen im Westen, hier ein Zeichen der Solidarität zu setzen? Eben nicht unseren Mund zu halten zu Ungerechtigkeit, zu sagen, dass es ein großer Schmarrn ist, wenn Volker Beck vorgeworfen wird, er sei selbst schuld, wenn er – aus Solidarität – nach Moskau fährt und dort dann von der Polizei geprügelt und verhaftet wird.

Jetzt denke ich, dass dieses Gefühl bei mir auch aus einem gewissen Stolz – pride – kommt, dass ich lesbisch bin. Das war / ist kein einfacher Weg, aber bestimmt kein so schwerer wie in Moskau oder Krakau. I am what I am – der alte Knaller hat schon sein Recht. Und es ist auch eine Freude als eine, die zu Gott gehören will. Die auf der anderen Seite mitkicken will. Bei dem Team, das keine Bodychecks macht und dann unschuldig rumtut, das keinen foult, weil der zu nah ans Siegertor kommt, das den Zuschauern nicht den Stinkefinger zeigt.

Ich will bei dem Team mitkicken, dass sich freut und feiern kann und nicht miesepetrig auf der Auswechselbank hockt. Ich hab einen Bericht gesehen über die Elf aus der Elfenbeinküste. Das Land ist seit Jahren zerrissen in einem Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen Christen und Muslimen. Und in der Mannschaft sind christliche und muslimische Spieler. Sie beten gemeinsam vor dem Spiel. Die muslimischen Spieler gehen auf die Knie nach einem Tor und danken Allah, die christlichen bekreuzigen sich. Sie haben in ihrem Land eine Mission: Sie wollen mit ihrem Vorbild als muslimisch-christliches Team etwas beitragen zum Ende des Mordens. Sie haben eine Fernsehspot gedreht, in dem sie zeigen, dass es auch miteinander geht. Idealistisch, sagen die Skeptiker. Der erste richtige Schritt von einem Team, das anders spielen will, das mit anderen Mitteln gewinnen will, sage ich.

Mit andern Mitteln spielen, mit andern Mitteln gewinnen – So wie Jesus auch nicht mitgemacht hat bei dem herrschenden Spiel von Macht und öffentlicher Meinung. So wie er solidarisch war mit den Mühseligen und Beladenen. So wie Gott will, dass wir uns freuen am Leben und mit Begeisterung zusammen feiern und nicht miesepetrig auf der Bank hocken, weil eh schon alles verloren ist in der Welt. 

Bei dem Team will ich mitspielen: Wo ich mich nicht in engen Klischees zwängen muss, wo ich solidarisch sein kann, wo ich heulen darf, wenn ich muss, wo ich begeistert mitfeiern kann - auch auf der Bank, wo ich stolz sein kann, dass ich die bin, die ich bin.

Das ist für mich der andere Kick!

Amen