Predigt September 2009

Predigt für den Queergottesdienst am 20. September 2009

Matthäus 6,25-34 „Sorgt euch nicht“

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Ich kann mich daran innern, wie ich vor fünf Jahren zu einer Andacht im Berliner Dom war und dieser Text verlesen wurde. Als erstes fand ich ihn doch verstörend. Übereinstimmend mit dem Domprediger hielt ich diesen Evangeliumstext eine Zumutung, ja sogar ein Schlag ins Gesicht eines jeden Hartz-IV-Empängers. „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet.“ Das muss doch der reinste Hohn für jemanden sein, dessen Einkommen auf das allernotwendigste Maß beschränkt ist, der nicht nur sich selbst sondern auch seinen Kindern oft genug Wünsche wie ein Besuch im Kino, den Kauf von neuen Kleidern oder ein paar Süßigkeiten ausschlagen muss, weil das Geld sonst nicht reicht.

Und auch die Menschen, die Arbeit haben, sorgen sich um Morgen. Denn durch die Krise, fallen den Betrieben massig Aufträge weg, müssen ihre Mitarbeiter in die Kurzarbeit schicken und auch um Kündigungen werden sie früher oder später nicht herumkommen. Unternehmen haben Insolvenz angemeldet und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen nicht wie es weitergeht.

Nun mag es ja einige geben, die ein gesichertes Einkommen haben und auch ein sonniges Gemüt; die mit der beneidenswerten Gabe ausgestattet sind, in den Tag hineinzuleben. Die mögen sich vielleicht nicht an diesen Worten stören. Aber auch sie sind nicht vor Krankheit und anderen Schicksalsschlägen gefeit. Würde ich sorglos an den nächsten Tag denken, wenn der HIV-Test, den ich letzten Monat machen ließ, positiv ausgefallen wäre? Sicher nicht.

„Saget nicht: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit sollen wir uns kleiden? Danach trachten die Heiden.“ Soll den das alles unchristlich sein: unsere Vorsorge für unser berufliches Fortkommen, unsere Rente im Alter; die Geldanlagen für das Geschäft.

Unsere Versicherungen gegen die Wechselfälle des Lebens, gegen Unfall und Krankheit, die uns und unsere Angehörige im Ernstfall wenigstens finanziell absichern sollen – das alles soll unchristlich, soll heidnisch sein?

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Dies ist der Schlüsselsatz in unserem Text. Von seinem Verständnis hängt in der Tat alles ab. Wenn wir nach dem Reich Gottes trachten – erübrigt sich dann automatisch alle Vorsorge, können wir dann sorglos leben, weil wir bekommen, was wir brauchen?

Wie ist das gemeint? Hilfreich kann uns da zunächst ein Blick sein auf einen Vers unmittelbar vor unserer Textstelle: „Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Dieser Vers ist der Schlüsseltext zum Verständnis unseres Textes: er fasst die vorhergehenden Verse zusammen und verbindet sie mit unseren gleichsam unter einer gemeinsamen Überschrift.

In den Versen zuvor geht es um den Ungeist, ja den Götzendienst des Schätzesammelns: „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, sammelt euch Schätze im Himmel, denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz – Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon! Darum sorget nicht … sondern trachtet nach den Reich Gottes.“

Aus diesem Gesamtzusammenhang heraus wird die Zielrichtung deutlich, die Jesus hier vor Augen hat. Wer sich Schätze anhäuft hier auf Erden, der taugt nicht zum Reich Gottes. Übertriebenes Anhäufen von materiellen Gütern und deren ständige Vermehrung kann leicht zum einzigen Motor unseres Denkens und Handels werden. So tritt Gott automatisch in den Hintergrund und wird nicht mehr als der derjenige wahrgenommen, der großzügiger Geber aller Gaben ist und dem wir zu Dank verpflichtet sind.

Immer mehr und mehr, immer weiter, nicht vorsorgend auf seriöser und langfristiger Basis, Profitsteigerung als Selbstzweck, genau diese Denkweise hat uns in die jetzige Wirtschaftskrise getrieben.

Ebenso wie das Anhäufen von Schätzen will Jesus, dass wir auch der übertriebenen Sorge abschwören. Gemeint ist das grüblerische, quälerische Sichabsorgen und Ängstigen, das einen Menschen nur kaputt machen kann. Jesus sagt uns: Lade die sorgen ab. Lade sie Gott auf. Ein Gebet hilft manches Mal mehr als das Sich-selber-zermartern, in dem wir uns ständig ausmalen, was noch alles passieren kann. Rufen wir uns doch öfters ins Gedächtnis, dass – wir haben es eben im Anspiel gesehen – Gott uns in all unseren schwierigen Lebenslagen, wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Trennung und Coming-out, immer beistand und uns nicht fallen gelassen hat. Und manchmal kommt man mit dem Alter und mit seiner Erfahrung auch zur Erkenntnis, dass nicht alles ein Unglück war, für was man es zunächst hielt. Vielleicht ist es ein notwendiger Durchgang gewesen.

Betrachten wir auch unsere Sorgen und Ängste bei der Partnersuche. Viele hadern mit dem Alleinsein. Sie fragen sich, wo ist dieser besondere Mensch mit dem ich Seit’ an Seit’ durchs Leben gehen will? Kommt dieser Mensch eines Tages? Gibt es sie beziehungsweise ihn überhaupt? Bin ich attraktiv für andere? Früher habe ich mir oft gedacht, wie gut manche Jungs doch aussehen. Schlanker, durchtrainierter Körper, breites Kreuz und eben keine Geheimratsecken und eine Brille. Um meinen multiplen Vermittlungshemmnissen auf dem Single-Markt entgegenzuwirken, fing ich an Kontaktlinsen zu tragen, wenn ich abends in die Disco ging. Aber darauf kommt es nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen spüren, wenn man sich im reinen ist. Man hat automatisch einen zufriedenen Gesichtsausdruck und ein natürliches einladendes Lächeln auf den Lippen. So wird man von den anderen auch mehr beachtet, als wenn man Sorgen beladen und missmutig durch die Tanzflure läuft. Selbstverständlich kommt die große Liebe damit auch nicht immer gleich und sofort. Aber zumindest ist schon mal eine gute Basis zum Kennenlernen da. Und was ich auch ganz wichtig finde, man hat das Gefühl nicht ignoriert zu werden.

Verdeutlichen wir uns auf der anderen Seite, dass Jesus nicht sagt: Arbeit nichts, legt die Hände in den Schoß. Machen wir uns das Bild mit den Vögeln recht klar. Ein Vogel kann nicht säen, aber doch muss er die Gaben, die Gott in ihn hineingelegt hat, benutzen, um zu seiner Nahrung zu kommen. Er darf nicht faul auf dem Nest sitzen, bis ihn Gott das Futter in den Schnabel wirft. Die Nahrung kommt nicht herbeigeflogen. Er muss vielmehr zur Nahrung hinfliegen und sich fleißig das suchen, was er braucht. Und die Lilien, sie können nicht wie der Vogel fliegen und arbeiten, um sich Nahrung zu suchen, und doch müssen sie die Regentropfen und Tautropfen, die auf sie fallen, aufsaugen und den Sonnenstrahlen sich öffnen. Wenn sie das nicht täten, gingen sie zugrunde. Und auch im Paradies ist davon die Rede, dass der Mensch arbeitete und nicht wie in einem Schlaraffenland weilte, wo das Essen in der Luft schwebt und man nur zugreifen und reinbeißen muss.

Lasst uns im Weinberg des Herrn arbeiten anstatt kleingläubiger Sorge anzuhängen. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt – als Bürger des Reiches Gottes, als Arbeiter in seinem Weinberg – noch einmal unseren Text betrachten, dann klingt er auf diesem Hintergrund gar nicht so weltfremd. Im Gegenteil: dann ist Jesu Warnung vor übertriebener Sorge ein hilfreicher Hinweis darauf, dass wir das eigentliche Ziel unseres Lebens nicht aus den Augen verlieren. Als Kinder Gottes und Glieder am weltweiten Leibe Christi sind wir der Sorge um uns selbst enthoben: der Sorge um unser Heil, um unsere Erlösung.

Hier gilt das Wort aus dem Petrusbrief: „Alle euer Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Unsere Sorgen wären da auch völlig vergeblich: „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt“ – so fragt Jesus seine Hörerinnen und Hörer. „Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigener Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein“ – so hat Paul Gerhardt diese Erkenntnis ausgedrückt. Eine wahrhaft befreiende Erkenntnis, die uns nun in die Lage versetzt, uns um andere zu kümmern.

„Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Freuen wir uns doch lieber über die gute Gemeinschaft, die wir heute Abend erleben anstatt sich bereits Gedanken um morgen zu machen, an dem für die meisten wieder die neue Arbeitswoche mit ihren vielen Herausforderungen beginnt. Dann meistern wir diese sicherlich besser.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen