Predigt Juli 2017

Queergottesdienst am 16. Juli 2017 in St. Johannis

 

Predigt zu Apostelgeschichte 9,1-9 (Die Umkehr des Saulus: vom Verfolger der Gemeinde zum Nachfolger Christi)

 

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Liebe Queergemeinde,

 

die Wandlung vom Saulus zum Paulus ist in diesem Queergottesdienst auszulegen. Und beim Hören dieses Textes erkennen wir, dass da ein Mensch eine radikale Änderung in seinem Leben vollzieht, eine 180-Grad-Wendung. Wir wissen Paulus war zunächst ein jüdischer Schriftgelehrter, ein gesetzestreuer Pharisäer, ein jüdischer Ultra und großer Christenverfolger. Wir haben „Unterwegssein zu Gott“ zum Thema und bei Paulus, wie er sich später nennt, lohnt es sich in seine Lebensstationen, auf seinen Pilgerpfad zu Gott zu schauen: Er wurde als Saulus aus Tarsus in Zilizien vermutlich vor 10 n. Chr. geboren. Wie es in der neutestamentlichen Zeit häufig vorkam trug er als zweiten Namen den römischen „Paulus“. Der Name bedeutet „der Kleine, Geringe, Niedrige“. Von seinem Vater hatte er das römische Bürgerrecht geerbt. Er war ein Sohn frommer jüdischer Eltern, ein strebsamer Rabbinerschüler, stolz auf seine hebräische Abstammung, auf seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Pharisäer, auf seine Gesetzesgerechtigkeit und seine Arbeit innerhalb der jüdischen Gemeinde. Er war durch und durch Jude, von Kindheit an dem Gesetz des Mose treu ergeben, und er liebte sein Volk. Mit ganzer Hingabe widmete er sich dem Studium bei Gamaliel, einem der berühmtesten Rabbiner seiner Zeit und erhielt wohl schon recht früh die amtliche Anerkennung als Schriftgelehrter. Er war kaum über 30 Jahre alt, als er in Ausübung seines Amtes der Steinigung eines Christen beizuwohnen hatte, um ihren ordnungsgemäßen Vollzug zu beaufsichtigen – eine Aufgabe, die nur ein voll ausgebildeter Schriftgelehrter ausführen durfte. Die Steinigung des Stephanus wies ihm den Weg, um mit diesen Abtrünnigen fertig zu werden: Man musste sie verfolgen, gefangen nehmen und notfalls töten, dann würde diese sonderbare Irrlehre, das der vor kurzem hingerichtete Jesus von Nazareth tatsächlich der langersehnte Messias der Juden gewesen sei, bald zu existieren aufhören.

 

Das Ergebnis der Verfolgungsaktion in Jerusalem ermutigte ihn. Die Christen waren zersprengt worden und hatten sich in alle Winde zerstreut. Ängstliche Gemüter mochten noch hier und da versteckt sein – jedenfalls bedeuten Sie keine Gefahr mehr. Als aus Syrien die Nachricht nach Jerusalem kam, dass sich auch dort innerhalb der jüdischen Gemeinde Christen verbreiteten, hielt der Hohepriester keinen für geeigneter, die Unterdrückung solcher Umtriebe durchzuführen, als Saulus, der darum gebeten hatte. Ausgerüstet mit der Bevollmächtigung durch den Hohepriester machte sich Saulus mit einer Schar Bewaffneter zur Verfolgung beziehungsweise Verhaftung der Christen nach Damaskus auf.

Er war bereits dicht an die Stadt herangekommen, als ihn plötzlich um die Mittagszeit ein helles Licht vom Himmel her umstrahlte und eine Stimme den zu Boden Gesunkenen fragte: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Auf seine ängstliche Gegenfrage: „Wer bist du, Herr?“ sprach die Stimme: „Ich bin Jesus von Nazareth, den du verfolgst.“ Dann folgte der Hinweis: „Stehe auf und gehe nach Damaskus! Dort wird man dir alles sagen, was du tun sollst.“

Als er sich erhob, um nach Damaskus zu gehen, musste er feststellen, dass er erblindet war. Er wurde als völlig gebrochener Mensch in die Stadt geführt, wo er zuerst einmal drei Tage lang unter Gebet und Fasten dieses Erleben zu begreifen und zu erfassen suchte.

 

Nun, war Saulus nicht erst durch das blendende Licht vor Damaskus erblindet. Nein, er war es bereits vorher. Er war blind vor Eifer, blind vor Ehrgeiz, falsch verstandener Gesetzestreue und Pflichtbewusstsein. Dass er vor der Verfolgung der Christen in Damaskus mit Blindheit geschlagen wurde, kann man bei Saulus also als die letzte Etappe, die körperliche Blindheit, das Wegnehmen des Augenlichtes ansehen. Aufstehend von der Straße, auf die es ihm mit der Begegnung Jesu hingeworfen hatte, realisierte Saulus zunächst nur seine Erblindung. Alles andere war zu viel, er musste erstmal begreifen, was geschehen war. Wie ein Häufchen Elend mussten seine Begleiter ihn in die Stadt führen. Hunger, Appetit und Durst blieben drei Tage weg, er konnte nichts essen, das Ungreifbare musste zuerst verdaut werden. Drei Tage blieb auch das Augenlicht weg. Er war völlig hilflos, paralysiert von den Ereignissen.

 

Was geschah danach? Ich lese die Verse 10 bis 20, die sich der heutigen Lesung anschließen:

10 In Damaskus lebte ein Jünger ´Jesu` namens Hananias. Zu ihm sagte der Herr in einer Vision: »Hananias!« – »Ja, Herr?«, erwiderte Hananias. 11 »Geh in die Gerade Straße«, befahl ihm der Herr, »und frage im Haus des Judas nach einem Saulus aus Tarsus. Du musst Folgendes wissen: Saulus betet, 12 und in einer Vision hat er gesehen, wie ein Mann namens Hananias in sein Zimmer tritt und ihm die Hände auflegt, damit er wieder sehen kann.« 13 »Herr«, entgegnete Hananias, »von den verschiedensten Seiten habe ich erfahren, wie viel schreckliche Dinge dieser Mann in Jerusalem denen angetan hat, die zu deiner Gemeinde gehören. 14 Außerdem ist er von den führenden Priestern dazu ermächtigt, hier in Damaskus alle zu verhaften, die sich zu deinem Namen bekennen.« 15 Aber der Herr sagte: »Geh ´trotzdem` zu ihm! Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug ausgewählt, damit er meinen Namen ´in aller Welt` bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten. 16 Und ich will ihm zeigen, wie viel er ´von jetzt an` um meines Namens willen leiden muss.« 17 Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in jenes Haus. Er legte Saulus die Hände auf und sagte: »Saul, mein Bruder! Der Herr selbst – Jesus, der dir auf deiner Reise hierher erschienen ist – hat mich geschickt. Er möchte, dass du wieder sehen kannst und mit dem Heiligen Geist erfüllt wirst.« 18 Im selben Augenblick war es, als würden Schuppen von Saulus’ Augen fallen: Er konnte wieder sehen! Saulus stand auf und ließ sich taufen. 19 Und nachdem er etwas gegessen hatte, kehrten seine Kräfte zurück.

20 da begann er auch schon, in den Synagogen der Stadt zu verkünden, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

 

Ausgerechnet der Christ Hananias soll sich um Saulus kümmern. Das ist mal wieder diese typische Querdenkerei eines Jesus, die Dinge einfach auf den Kopf stellen. Der Verfolgte hilft nun dem Verfolger. Wie blöd müssen diese Christen wohl sein, mögen sich manche gedacht haben: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“ Hananias wurde von Jesus geschickt, um Saulus körperlich, geistig und spirituell zu heilen. Nach der Heilung, Saulus konnte wieder sehen, ließ er sich taufen und stellte sich entschieden in den Dienst Jesu Christi.

 

Wer Paulus als Christen und Missionar, als Theologen und in seinem Eifer für den Herrn begreifen will, der muss bei diesem Damaskuserlebnis einsetzen. Hier brach im Licht der Christusbegegnung das meiste von dem zusammen, was er bisher für heilig und erstrebenswert hielt. Drei Dinge sind es vor allem, die er aus diesem Erlebnis gewinnt:

 

  1. Jesus ist der Messias Gottes, der Heiland der Welt.

  2. Gerechtigkeit vor Gott erlangt der Mensch nicht aus guten Taten, sondern allein durch den Glauben an das Evangelium. Also an die Botschaft, dass in Christus und seinem Tod für uns die Vergebung Gottes beschlossen liegt, eine Vergebung, die allein zu der Gerechtigkeit des Menschen führt, die vor Gott gilt. Diese Erkenntnis ist besonders für evangelische Christen entscheidend, war es doch für Martin Luther das Schlüsselzeichen zur Rettung des Menschen wie er den Römerbrief des Paulus studierte. Dieses Jahr zum 500. Jubiläum der Reformation vielleicht noch einmal mehr herausgestellt. Nicht nur für Protestanten bedeutend, denn am Reformationstag 1999 unterzeichneten der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Sie und der Weltrat methodistischer Kirchen halten fest, dass Rechtfertigung allein aus Gnade geschieht. Am 4. Juli dieses Jahres trat bei einem Ökumene-Festakt in Wittenberg auch die Weltgemeinschaft der reformierten Kirchen der Erklärung bei.

  3. Nicht mehr die von außen kommende Forderung des Gesetzes, sondern das reale Leben Christi im Gläubigen durch den Heiligen Geist ist Kraft und Richtschnur alles Handelns.

Als Pharisäer meinte Saulus zu wissen was Recht und Unrecht ist. Nach Damaskus ist das alles infrage gestellt. Wie heißt es so schön, wie Schuppen fiel es ihm von seinen Augen – und damit ist nicht nur die Rückerlangung seines Augenlichts gemeint, sondern er hat die Wahrheit in Jesus Christus gesehen und erkannt. Obgleich noch viele Fragen bestanden und es noch viel zu verstehen galt, bestimmten diese Ereignisse den Rest seines Lebens.

 

Paulus hat viele Reisen unternommen, viele Briefe geschrieben, predigte und verkündete in Synagogen und anderen Orts von dem gekreuzigten und wiederauferstandenen Jesus. Seine Briefe an die Gemeinden in Rom, Korinth, Galatien, Ephesus, Philippi, um nur einige zu nennen, sind prägend. Paulus rechnete ganz stark mit dem Wiederkommen Christi in seinem eigenen Leben. Paulus hat die christliche Theologie maßgeblich beeinflusst und war ein großer Missionar. Er war ein eifriger Glaubensverbreiteter im Urchristentum, aber es kränkte ihn, dass der Großteil seines jüdischen Volkes ihm nicht gefolgt ist und er von ihnen getrennt war. Durch andere Gottesdienste weiß ich, dass Paulus von kleiner, hässlicher, kümmerlicher Gestalt war – er gab sich nicht mit weltlichen Sachen ab, war unverheiratet. Seine Wertschätzung der Frau war nicht besonders, Homosexualität lehnte er ab.

 

Viele sind nicht ohne Grund vorsichtig bei Menschen, die von einem Extrem ins andere gewechselt sind. Bei Paulus der Eifer zur Verfolgung der Christen und dann zum glühenden Fürsprecher und Missionar derselben. Aber bei Paulus zweifelt keiner an seiner Erleuchtung, seinem tiefen Glauben an Christus und einer echten Kehrtwende.

 

Paulus war in Gefangenschaft in Rom. Danach weiß man nichts genaues mehr über ihn. Er könnte aus der Gefangenschaft entlassen worden sein. Nach Überlieferung der römischen Gemeinde ist er unter Nero nach 60 n. Chr. mit dem Schwert hingerichtet worden und zwar gleichzeitig mit der Hinrichtung des Petrus.

 

Was bleibt ist sein Wirken im 1. Jahrhundert, seine Briefe im Neuen Testament, seine prägende Theologie. Kirchen sind nach ihm benannt, seine Texte sind regelmäßig Bestandteil der Lesungen in den Gottesdiensten. Seine Leidenschaft für und sein Glaube an Jesus Christus.

 

Ich stelle jetzt mal ein Beispiel für die Wandlung eines Saulus zum Paulus im 20. und 21. Jahrhundert vor. Es ist kein Mensch, sondern unsere Stadt. Nürnberg war im Dritten Reich eine richtig braune Stadt. Von den Nazis wurden hier die Reichsparteitage abgehalten und Nürnberg war somit eines der wichtigsten Orte der nationalsozialistischen Propaganda. 1935 wurde auf dem Reichsparteitag die Nürnberger Rassegesetze beschlossen. Mit ihnen stellten die Nationalsozialisten ihre antisemitische Ideologie auf eine juristische Grundlage. Zwischen 1941 und 1945 befanden sich KZ-Häftlinge in der Stadt. Mehrere hundert Häftlinge arbeiteten in der Nürnberger SS-Kaserne für die Bauleitung der Waffen-SS und der Polizei Nürnberg. Von Oktober 1944 bis März 1945 existierte zudem das KZ-Außenlager Nürnberg (Siemens-Schuckertwerke), dessen 550 Frauen-Häftlinge Zwangsarbeit für die Siemens-Schuckertwerke in der Katzwanger Straße verrichten. Im Zweiten Weltkrieg wurde Nürnberg schwer von Luftangriffen beschädigt; die Altstadt fast vollständig zerstört.

 

Jedes Mal, wenn ich über den Kornmarkt laufe, vorbei am Germanischen Nationalmuseum und will mich Richtung Opernhaus begeben, gelange ich durch die Straße der Menschenrechte. Die meisten kennen den weißen Torbogen und die weißen Säulen mit Auszügen aus den 30 Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Und ich denke mir dabei, Nürnberg ist ein ganz gutes Stück vorangekommen bei der Bewältigung seiner eigenen teils unrühmlichen Geschichte. Hier, wo ich durch laufe, das stellt schon eine Umkehr dar. Immerhin ein israelischer Künstler hat das konzipiert, jemand der zur Zeiten des Nationalsozialismus verfolgt, inhaftiert und anschließend ermordet worden wäre. Nach Darstellung des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg ist die Straße der Menschenrechte „sowohl eine Anklage gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten als auch eine zu Stein gewordene Mahnung an die Menschen, dass die Menschenrechte auch heute noch in vielen Staaten der Erde massiv verletzt werden“.

 

Weiter soll das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände über die Nazi-Zeit in Nürnberg informieren. Seit 1995 wird der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis an Personen verliehen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Mit Kasha Jacqueline Nabagesera aus Uganda gehört auch eine LGBTI-Aktivistin zu den Preisträgern. Das Nürnberger Menschenrechtszentrum, ein Verein, der sich für die Würde des Menschen einsetzt und das Nürnberger Menschenrechtsbüro wurden gegründet. Alle zwei Jahre wird der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis verliehen. Das Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte ist ein fester Bestandteil des Kulturprogramms der Stadt. Und die Ironie der Geschichte will es so, dass die ehemalige SS-Kaserne an der Frankenstraße jetzt der Hauptsitz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist. Die Stadt Nürnberg wurde am 10. Dezember 2000 in Paris mit dem UNESCO-Preis für Menschenrechtserziehung ausgezeichnet. Damit würdigte die UNESCO den vorbildlichen Einsatz der Stadt Nürnberg für Frieden und Achtung der Menschenrechte.

 

Durch die Rolle Nürnbergs während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fühlt sich die Stadt in besonderem Maße verpflichtet, einen aktiven Beitrag zum Frieden und zur Verwirklichung der Menschenrechte zu leisten. Natürlich könnten angesichts dieser Kehrtwende Kritiker sagen: Ein kluger Schachzug von den Nürnbergern, während andere sich ein Holocaust-Mahnmal mitten die Stadt bauen, verpasst sich Nürnberg einen neuen Anstrich und erklärt sich als „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“. Aber Menschen wie wir, die in dieser Stadt wohnen oder in der Nähe leben, können schon einschätzen, dass es ein ernsthaftes Anliegen der Stadt Nürnberg ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und den Weg von Frieden und Durchsetzung der Menschenrechte zu gehen.

 

Mögen auch wir nach der Gerechtigkeit Gottes streben, umkehren wo nötig und Zeugnis abgeben.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.