Predigt Januar 2010

Queergottesdienst St. Johannis/ Nürnberg am 17.01.2010
Predigt zur Jahreslosung 2010 (Johannes 14, 1)

Jesus Christus spricht:
Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!

Liebe Queergemeinde!

Seit wann gibt es eigentlich Jahreslosungen? Und warum? Manchmal sind es die ganz einfachen Fragen, die einen auf Entdeckungsreise gehen lassen. Es gibt sie seit 1930 - initiiert von Pfarrer Otto Riethmüller – einem Theologen aus Berlin. Inzwischen ermittelt die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellese die Jahreslosung und die Herrenhuter Brüdergemeinde druckt sie Jahr für Jahr in ihrem Losungsbüchlein ab.

Jahreslosungen wollen, wenigstens von ihrem Ursprungsgedanken her, einen Zusammenhang zwischen unserem eigenen Leben und der Bibel herstellen. Ob diese Verbindung immer gelingt sei dahingestellt.

Wissen wir noch wie die Jahreslosung vor zwei oder drei Jahren lautete? Meine ehrliche Antwort: Nein. Zu viele Wörter prasseln tagtäglich auf uns ein und auch die ungezählten Bibelworte, die wir queere Christinnen und Christen Sonntag für Sonntag hören, lassen uns manchmal den Überblick verlieren. Da hat es die Jahreslosung schwer!

Und dennoch: Wir können es üben, sie ins Gedächtnis zu holen. Manchmal tut sie das sogar von selbst – und entfaltet eine unverhoffte Kraft. 2010 markiert ein kleines Jubiläum: 80 Jahre Jahreslosungen. Jedes Jahr ein biblisches Leitmotiv: Zum Nachdenken, zum Meditieren zum In- und Auswendig-Lernen, zum Leben –

12 Monate lang. Dazu soll auch die Karte dienen, die jeder von euch gerne mit nach Hause nehmen darf.

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!

Der Evangelist Johannes berichtet von einer, der vielen Abschiedsreden Jesu. Die Situation ist klar und offenkundig: Jesus wird die Seinen endgültig verlassen und sterben. Die Jüngerinnen und Jünger werden fortan weiterleben müssen, ohne dass Jesus leibhaftig bei ihnen ist. Dieser Einschnitt ist ungemein gewaltig und tief – eine Zäsur. Das Getrenntwerden von Jesus wirft die Frage auf, wie in Zukunft die Beziehung zu ihm aussehen wird. Und mehr noch: Sie betrifft in gleicher Weise unser eigenes Leben. Von ihm verlassen zu werden, führt geradewegs in eine existenzielle Krise. Luther übersetzt diese tiefe innere Erschütterung mit dem Begriff „erschrecken“. Das Erschrockensein des Herzens bietet aber keine Lebensperspektive.

Jesus sagt weiter: Glaubt! Und zu ergänzen wäre: Glaubt vielmehr!

Dem Gefühl „verlassen zu werden“ stellt Jesus den Glauben „sich verlassen zu können“ gegenüber. Auffällig ist, dass der Evangeliumsschreiber gleich zweimal vom Glauben spricht: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“. Dadurch bekommt der Glaube zum einen eine besondere Gewichtung, und zum anderen eine anscheinend unterschiedliche Ausrichtung: Einmal „Glaubt an Gott, sodann „ glaubt an mich“. Ist darin ein Gegensatz zu sehen? Jesus sagt selbst wenige Kapitel weiter: „Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat“. Der Glaube an Jesus beinhaltet also den Glauben an Gott. Der eine ist nicht ohne den anderen zu haben. Wer auf Jesus vertraut- verlässt sich auf Gott! Gottesglaube ist Christusglaube – und umgekehrt.

Die Krise der Jüngerinnen und Jünger angesichts des Abschieds ihres Meisters ist mit unseren Krisengefühlen nur bedingt vergleichbar. Und dennoch berührt uns der Zuspruch Jesu „Euer Herz erschrecke nicht!“ gerade zu Beginn des neuen Jahres viel unmittelbarer.

- Wie schwer ist uns der Abschied vom alten Jahr gefallen?

- Wie schaut unsere Bilanz für 2009 aus?

- Welche Sorgen und Ängste haben wir vom alten in das neue Jahr mit hinüber genommen?

Etwa:

- Bleibe ich gesund – bzw. werde ich wieder ganz gesund?

- Hält meine Beziehung zu meinem Freund zu meiner Freundin?

- Wird mein Arbeitgeber die Wirtschaftskrise überstehen und wie sicher ist dabei mein Arbeitsplatz?

- Werde ich am Jahresende immer noch Single sein?

- Finde ich nach hunderten von Bewerbungen endlich einen Job?

Wenn wir die Sorgen und Nöte zum alles entscheidenden Lebensthema werden lassen, dann wirkt die Jahreslosung aufgesetzt und wie ein bloßer Appell: Kopf hoch das wird schon werden! Laß´ Dich nicht unterkriegen! So ist sie nicht gemeint. Das sollten wir lieber schlechten Neujahransprachen überlassen!

Um unsere Zukunftsfragen Ernst zu nehmen, jedoch ohne sie zum alles entscheidenden Thema zu machen, braucht es den Glauben, zu dem uns Jesus Christus in der Jahreslosung einlädt.

Glaubt an Gott und glaubt an mich!

Und schon kommen in mir Einwände. Wir können uns den Glauben doch nicht befehlen lassen. Was soll das Ausrufezeichen – der Imperativ. Selbst wenn uns der Glaube geschenkt wird, hat er es schwer in einer Welt der bloßen Vernunft und der kühlen Bilanzen. Angesichts des vielen unverstandenen Leids auf dieser Welt, fehlen unserem Glauben oft genug die wirklich überzeugenden und schlüssigen Antworten. Das setzt uns zu und macht uns traurig! Auch wir liebe Queergemeinde stehen ratlos vor der Gewalt von Naturereignissen, die in kürzester Zeit ganze Landstriche verwüsten. Oder wenn wir von gewalttätigen Übergriffen gegen Lesben, Schwule und Transgender lesen. Es kommt uns vor, als sei unser Leben anonymen, finsteren Mächten ausgeliefert, die mit uns ein böses Spiel treiben.

An Christus zu glauben, auf ihn allein das Vertrauen zu setzen, geschieht dann in der Hoffnung mit den Rätseln der Welt und unseres Lebens zurecht zu kommen und darin kein blindes Schicksaal wüten zu sehen, sondern trotz allem Gottes verborgenes Wirken zu Gesicht zu bekommen.

Der Glaube drängt auf Gewissheit, er fragt nach Orientierung und nach dem, was unverbrüchlich gilt, wenn um uns herum alles wackelt und der Boden unter den Füßen wegbricht. Der Glaube sehnt sich nach Gott, der größer ist als unsere engen Grenzen und die Macht der Angst und des Todes überwindet.

Glaubt an Gott und glaubt an mich!

Mehr ist gar nicht nötig als dieses Grundvertrauen in die Macht und Barmherzigkeit Gottes. Alles andere, wie im Glauben gestärkt zu werden, den Glauben zu mehren, oder gar im Glauben zu wachsen, ist dann nachrangig. Wir bleiben stets darauf angewiesen, dass Gott uns die Kraft zum Glauben schenkt und mit Dietrich Bonhoeffers Worten „unseren aufgeschreckten Seelen und unruhigen Herzen mit seiner Nähe und mit seinem Zuspruch erfüllt“. Wenn wir bei all den Fragen, mit denen uns das Leben konfrontiert, den Glauben an den von Christus verkörperten Gott bewahren, ist das kein Akt eigener Stärke, sondern dann verdanken wir auch das allein ihm!

Niemals ist unser Glaube eine menschliche Leistung, immer aber die Gabe und das Geschenk eines wundervollen Vertrauens, dass wir in allem was uns auch geschehen mag, von Gott gehalten sind – im Leben wie im Sterben. Dieses Vertrauen mag klein und zaghaft sein und dennoch reicht es aus, mitten in aller Erschütterung einen festen Ort zu finden. Die kleine Glaubenskraft reicht aus für das große Wunder.

Es tut gut und es ist ungemein tröstlich bei Martin Luther zu lesen: „Unser Glaube ist noch sehr schwach und kalt. Wäre er so gewiss und stark, wie er wohl sein sollte, so könnten wir vor großer Freude nicht leben. Nicht der große, starke Glaube, sonst wäre es nicht zum Aushalten! Aber wenigstens dieser „kleine“ Glaube!“

Dann werden wir auch im neuen Jahr 2010 Dinge erleben, die wir uns nicht träumen lassen, und den Mut finden inmitten aller Krisen für die Gestaltung unseres menschlichen Miteinanders einzutreten.

Queer denken und queer handeln.

Ja dann wird unser Glaube nicht nur allen Erschütterungen standhalten, sondern uns aus ihnen gestärkt herausführen in eine befreiende Weite. Der Glaube bewirkt eine veränderte Sicht auf diese Welt – und zugleich noch mehr: Er verändert die Welt. Er vertreibt die Angst. Und er schenkt uns eine große Hoffnung.

Das liebe Freundinnen und Freunde gilt es durchzubuchstabieren – ein ganzes Jahr – ein Leben lang.

Amen.

Und der Friede Gottes der größer und höher ist, als all unsere Vernunft und unser menschliches Denken, der bewahre unsere Herzen, Sinne und vor allem unseren Glauben an und in Christus Jesus.

Amen