Predigt März 2011 (Festgottesdienst zu 10 Jahren Queergottesdienst)

Queergottesdienst am 20. März 2011

Festgottesdienst zu 10 Jahren Queergottesdienst
„Proviant für Leib und Seele“

1. Lesung: 2. Mose 13,17-22 Wüstenwanderung

2. Lesung: Joh. 6,47–51 Brot des Lebens

Statement 1:

Alle sind angenommen.

Keiner ist verloren aufgrund der Gnade (Wohlwollen) Gottes.

„Wer glaubt, hat das ewige Leben“, weil Jesus selbst das Brot des Lebens ist. So haben wir soeben aus dem Johannesevangelium gehört.

Diese Verheißung des Evangeliums hat der Apostel Paulus wieder aufgenommen, indem er sagt (Römer 3,23-24):

 „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verspielt. Gerecht gemacht werden sie ohne Verdienst aus seiner Gnade durch die Erlösung, die Jesus Christus ist!“

Das heißt doch im Klartext:

Allein auf den Glauben und die Gnade kommt es an! Ich, Mensch, bin Sünder, das ist wohl wahr und ich kann mir die Herrlichkeit Gottes nie und nimmer verdienen, nicht einmal durch fromme Werke!

Mit keiner noch so großartigen Leistung kann ich mir einen Platz in Gottes Friedensreich ergattern! Diesen Platz verdanke ich allein der Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

Gott nimmt mich an, wie ich bin. Vor Gott muss ich mich nicht „schminken“ und ins rechte Licht setzen, vor Gott muss ich auch nicht Stufe um Stufe höher klettern auf der Erfolgsleiter nach oben. Nein, denn Gottes Liebe, Gottes Gnade kann ich mir selbst durch Superleistungen nicht erwerben, sondern nur schenken lassen.

Ich, Mensch, darf aufatmen, darf durchatmen, darf neu anfangen und mein Leben in Zuversicht gestalten. Gott sagt zu mir: „Du bist frei, Gutes zu tun. In dir steckt so viel Gutes. Entdecke es und leb’ es aus.

Wenn dieser Glaube in mir aufspringt, dann muss ich nicht mehr der „Hecht im Karpfenteich“ sein oder „der große Zampano“. Dann muss ich auch nicht mehr mir oder anderen beweisen, wie toll ich bin, wie attraktiv, wie gescheit oder wie reich.

Der Queergottesdienst war und soll so ein Ort sein, an denen die Menschen wirklich erfahren, dass sie von Gott und der Queergemeinde so angenommen sind, wie sie sind.

Hier muss Mann eben nicht den großen Zampano spielen. Er oder sie darf einfach so da sein, ohne sich in irgend einer Hinsicht verstellen zu müssen. Hier darf Mann schwul sein oder Frau lesbisch, hier darf ein Mann eine Frau sein und eine Frau ein Mann und zwar nicht, weil wir irgendwie verrückt oder eben anders sind, sondern weil Gott es uns so vorgemacht hat: Gott nimmt in seiner Gnade alle an, die an ihn glauben!

Hier im Queergottesdienst orientieren wir uns an diesem Vorbild Gottes. Natürlich klappt das auch nicht immer bei jedem. Schließlich sind wir Menschen und nicht Gott. Aber wir bemühen uns um gegenseitige Annahme. Die 10 Jahre beweisen den Erfolg dieses Konzeptes.

Statement 2:

Gemeinschaft

Liebe festliche Queergemeinde,

was wäre der Queergottesdienst – ohne seine Gemeinde, ohne Euch, ohne uns?

Ein gutes Bild der Queergemeinde ist die Orgel – die Königin aller Musikinstrumente. Da gibt es große und kleine Pfeifen aus Holz und Metall, in verschiedenen Formen und Tönen. Der Wind bringt sie zum Klingen, wenn der Organist mit seiner Hand die einzelnen Töne zum Ganzen fügt: Kunstvoll und in bunten Klangfarben.

Ganz unterschiedlich sind auch wir queere Christinnen und Christen in unserer Gemeinde. Unser Gott hält uns zusammen mit seiner segnenden und schützenden Hand. Ein lebloses Gehäuse bliebe unsere Gemeinschaft, wenn nicht Gottes Geist in seiner Wolken- und Feuersäule durch uns wehte. Hier gibt es keine Solisten - nein; eine jede und ein jeder bringt sich ein und fügt sich ein – in ein großes Ganzes;

in unsere Queergemeinde.

Musik schafft also Gemeinschaft. Sei es mit Orgel oder Band verbindet die Queergemeinde Generationen, Nationen und Konfessionen. Was Gott großes an uns getan hat, kommt hier zu Wort und Ton – mal in Dur und mal in Moll.

Zentrale Mitte unserer Gemeinschaft sind die monatlichen Gottesdienste – am dritten Sonntag im Monat. Aber auch zum CSD und Weltaidstag tragen wir gottesdienstliche Verantwortung

Wir sind dankbar in dieser wunderschönen Johanniskirche zu Gast sein zu dürfen und bringen hier vor Gott unseren Lob und Dank, Freude und Glück, Hoffnung und Sehnsucht; aber auch das, was uns schmerzt und unser Herz schwer macht. Wir werden ganz still, wenn wir in traurigen Momenten unserer Verstorbenen gedenken.

Für viele von uns ist der Queergottesdienst zu einer geistlichen Heimat geworden. Ein Ort wo ich, als schwuler Christ, ganz Ich sein kann.

Musik führt uns nicht nur zusammen. Musik macht Hoffnung – und der Himmel ist voller Musik. Martin Luther sagt: „Ich möchte nicht in einen Himmel kommen, wo nicht musiziert wird. Und so ist unser Queergottesdienst ein Stück Himmel auf Erden. Singen und musizieren sind Brot des Lebens, Liturgie und Predigt geben uns Worte des ewigen Lebens.

Darum liebe Freundinnen und Freunde schauen wir dankbar auf das bisher Erlebte zurück und sind gleichzeitig voll Vorfreude auf die nächsten Jahre. Von diesem großen Dank und der überschwänglichen Freude erfüllt, stimmen wir ein und singen gemeinsam:

Wir, die wir essen von dem einen Mahle und die wir trinken aus der heilgen Schale, sind Christi Leib, sind seines Leibes Glieder, Schwestern und Brüder. Amen.

Statement 3:

Ökumene

Liebe Queergemeinde,

liebe Schwestern und Schwestern!

In diesen 10 Jahren, in denen es den Queergottesdienst gibt, geben wir seit ungefähr 5 Jahren Gott die Ehre in einer evangelischen Kirche, der Johanniskirche. Soweit ich weiß, wurden unsere Gottesdienste immer in einer evangelisch-lutherischen und sogar einmal in einer reformierten Kirchengemeinde abgehalten. Unbeschadet dessen ist seit der Gründerzeit der Queergottesdienst ein evangelischer Abendmahlsgottesdienst mit ökumenischer Einladung. Und Gott sei Dank ist das ökumenische Element bis heute fester Bestandteil in unseren Feiern, z. B. in Form der Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern, den Mitgliedern des Vorbereitungsteams und somit der Gestaltung der Feiern an sich.

Ist es nicht toll, dass wir jeden dritten Sonntag im Monat trotz oder gerade aufgrund unserer unterschiedlichen christlichen Konfessionen hier zusammen kommen. Seien wir doch mal ehrlich: Wenn es den Queergottesdienst nicht geben würde, bekämen wir denn überhaupt mit, was die jeweils andere Konfession ausmacht, wie sie sich unterscheidet von unserer eigenen oder viel wichtiger, was uns gemeinsam ist? Ich als Protestant für meinen Teil gehe sonst nur in evangelisch-lutherischen Kirchen gastieren. Da ist es schon ein Highlight, wenn ich mal den Gottesdienst der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde aufsuche. Aber vor, im und nach dem Queergottesdienst finde ich den Austausch zwischen katholischen und evangelischen Glaubensgrundsätzen, Traditionen, Liturgien und Prägungen als äußerst erfrischend und inspirierend und obendrein lernt Mann/Frau und was dazwischen ist immer wieder dazu. Während unserer Teamtreffen und Vorbereitungstreffen ist natürlich nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Dort wird doch von Zeit zu Zeit in einem klagenden Ton darauf hingewiesen, man möge doch bitte mehr Lieder aus dem Gesangbuch nehmen, die mit einem großen „Ö“ vermerkt sind. Das „Ö“ steht schließlich für „ökumenisch“ und nicht für „österlich“, was ein Grund sein könnte, dass die Evangelischen um diese Lieder in einem Großteil des Kirchenjahres einen Bogen machen und zum zigsten Mal ihren Luther oder Paul Gerhard bemühen. Oder, dass ein Katholik einfach Räucherpyramiden, die Weihrauch enthalten, in einer evangelischen Kirche anzündet ohne die Kirchengemeinde um Erlaubnis zu bitten. Aber wir raufen uns immer wieder zusammen unter dem Kreuz der Johanniskirche, wo wir hingehören, thematisch und äußerlich. Hier bekommen wir unser Brot des Lebens, wer mag sogar mit rosa Aufstrich.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass wir nicht alle Christen mit queerem Hintergrund erreichen. Wenn ein Katholik auf sein all-sonntägliches Hochamt nicht verzichten mag, wird er hier nicht fündig werden. Genauso wird ein Protestant – trotz evangelischer Agende unserer monatlichen Feier – nicht seinen gewohnten evangelischen Sonntagsgottesdienst antreffen. Dort wird er oder sie vom Pfarrer bzw. Pfarrerin als fortschrittlichste und queerste Geste mal statt Ehe, Familie und Kinder nur das Wort Partnerschaft zu hören bekommen. Wir stehen immer im Spagat zwischen wie viel oder wie wenig queer darf der Queergottesdienst sein. So wie sich die Anderen fragen, die zwischen den Stühlen sich befinden, wie viel oder wie wenig „normale“ Gottesdienstordnung ist für mich als queerer Mensch okay oder auch ertragbar? Amen.

Statement 4:

Geprägt und weitergeführt

Im Lesungstext hieß es:

„Der Herr zog vor ihnen her, bei Tag in einer Wolkensäule, um ihnen den Weg zu zeigen, bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten.“

Wie praktisch! Und dann haben sie auch noch morgens das Manna vor die Füße gelegt bekommen, sozusagen als himmlischer Brötchenservice. So eine göttliche Rundumversorgung hätte ich auch gerne. Aber das ist doch Hollywood-Stil. So ist die Realität doch gar nicht!

Oder vielleicht gibt es sowas doch?

Wenn ich auf die letzten 10 Jahre zurückblicke, dann erkenne ich mit Dankbarkeit und Staunen, dass mich Gott zum Queergottesdienst hin und durch den Queergottesdienst weitergeführt hat. Der Queergottesdienst war für mich ohne Zweifel 10 Jahre lang Wolken- und Feuersäule sowie Proviant für Leib und Seele.

Die Gründung des Queergottesdienstes viel ziemlich genau mit meinem Coming-out zusammen. Natürlich kann man das legendäre Zusammentreffen der Gründungsmitglieder beim Erlanger Rosa Freitag im Herbst 2000 als Zufall betrachten. Ich sehe es aber als Führung Gottes an, als Feuersäule, die in einer rosa-Nacht den Weg geleuchtet hat.

Durch den Queergottesdienst durfte ich lernen, als frauenliebende Frau vor Gott zu treten und mich als solche anzunehmen. Das geschah vor allem auch über die Menschen, die mich hier in meinem Sosein ganz selbstverständlich annahmen, weil sie ja auch so sind.

Die Integration meiner frauenliebenden Orientierung geschah sogar so gründlich, dass ich heute gar kein besonderes Bedürfnis mehr habe, über mein Anderssein zu sprechen. Ich fühle mich fast genauso selbstverständlich verheiratet, wie meine heterosexuellen Arbeitskollegen verheiratet sind. Dazu hat die Segnungsfeier, die wir hier im Queergottesdienst haben durften, entscheident beigetragen.

Der Queergottesdienst hat mich 10 Jahre lang genährt, ich wurde hier geprägt. Wenn mich die Wolkensäule Gottes nun von der Queergottesdienstoase weiterführt, dann nehme ich diese Erfahrung und die Begegnungen im Queergottesdienst als Proviant für Leib und Seele mit.

Ich danke Gott und ich danke euch für die Heimat, die ich hier gefunden habe.

Amen